Der Liebesring.

Petrarka erzählt in einem seiner vertrauten Briefe, er habe bei seinem Aufenthalt in Aachen das Grab Karls des Großen besucht, und dort von den Priestern eine sonderbare, fabelhafte Sage vom Kaiser vernommen, die sie irgendwo gelesen zu haben versicherten. Sie lautet folgender Maßen:

Karl hatte sich in ein gewisses Frauenzimmer so über alle Maßen verliebt, daß er aller Staatsgeschäfte und alles Heldenruhms darüber vergaß, und gleichsam sich selbst nicht angehörte; all' sein Dichten und Trachten war allein auf die Geliebte gerichtet, die jedoch bald nachher starb. Jedermann war über den Tod erfreuet, nur der Kaiser wollte verzweifeln; nichts war im Stande, ihn zu trösten, und - was höchst sonderbar war, er konnte sich von dem Gegenstande seiner Leidenschaft schlechterdings nicht trennen; er schien an seine todte Geliebte gebannt zu seyn, und verließ sie selbst dann nicht, als ihr Körper schon in Verwesung überzugehen anfing. Diese an Raserei grenzende Leidenschaft setzte den ganzen Hof in Entsetzen. Der Erzbischof von Kölln, ein Vertrauter des Kaisers, bot alle Trostgründe auf, aber vergebens. Endlich wandte er sich betend zu Gott, der ihm offenbarte, was den Monarchen in dieser unseligen Liebeswuth gefangen halte. Er näherte sich demnach dem Leichnam, öffnete den Mund, und fand darinnen den Zauberring. Sobald er ihn zu sich genommen, war der Kaiser geheilt; der Leichnam wird beerdigt, und von nun an besaß der Erzbischof mittelst desselben Ringes die ausschließliche Zuneigung des Kaisers, der sich keinen Augenblick von ihm trennen konnte. Aus Furcht, daß der bezauberte Ring, dessen Wirkung er nun an sich selbst erfahren, nicht in andere Hände gerathen möchte, warf er ihn in einen bei Aachen gelegenen See. Dadurch aber verlor der Ring seine Kraft nicht. Karl faßte nunmehr für den See, in welchem das Kleinod lag, eine so heftige Neigung, daß es seine höchste Lust war, an den Ufern desselben sich zu ergehn. Und um sich nie von demselben zu trennen, schlug der Kaiser dort seine Residenz auf, und befahl, daß der Pallast, den er da erbauen ließ, der Sitz des Reichs und die Stätte seyn solle, wo seine Nachfolger die Krone empfingen.

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Zeitung für die elegante Welt, 1811.

Quelle: Friedrich Gottschalck, Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, Halle 1814