Gallus im Harmersbacher Thal.

Vor Alters, als das Harmersbacher Thal noch eine Wildniß war, wohnte darin als Einsiedler der heilige Gallus. Seine Hütte stand an einem Brunnen und einem Dornbusch, aus dem manchmal ein wunderschöner Gesang ertönte. Eines Tages kam zu dem Heiligen ein Bär und hielt ihm seine Tatze hin, worin ein großer Dorn stack. Gallus zog diesen heraus, und nun führte ihn das dankbare Thier zu einem Felsen, wo er eine Menge wilden Honigs fand; auch wich es nicht mehr von seiner Seite, trug ihm Holz herbei und verrichtete sonstige Dienste. Nachdem der Andrang der Leute zu dem Heiligen sehr groß geworden war, zog er sich eine Stunde weiter in das Thal zurück, an den Ort, wo jetzt die ihm gewidmete Pfarrkirche von Oberharmersbach steht. Aber auch hier entging er dem Zulaufe nicht, daher er mit seinem Bären sich fort in die Schweiz begab, wo er nachmals das Kloster Sankt Gallen gründete. Ungeachtet seiner Entfernung pilgerten die Leute noch immer in das Thal zu seinen Hütten, und als auch sie den Gesang aus dem Dornbusche hörten, suchten sie daselbst nach und fanden ein hölzernes Standbild, welches die Muttergottes mit dem Jesuskind auf dem linken Arme vorstellte. Sie erbauten dort eine Kapelle, und nachher ließ sich der Gesang nicht wieder hören. Statt der Kapelle steht jetzt auf dem Platze die Wallfahrtskirche Maria zur Kette, und außen über ihrer Hauptthüre das Standbild. Bei demselben haben schon manche Hülfe gefunden, und auch durch das Wasser des Brunnens werden verschiedene Leibesübel, besonders Augenleiden, vertrieben. 1)

1) Von dem Aufenthalte des Gallus im Harmersbacher Thal, sowie von der Auffindung des Muttergottesbildes, enthält weder die Lebensgeschichte dieses Heiligen etwas, noch das Büchlein über die Zeller Wallfahrt Maria zur Kette, welches Plazidus Schmider im Jahre 1748 zu Rottweil herausgegeben hat.

Quelle: Bernhard Baader, Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Karlsruhe 1851, Nr. 102.