211. Die versunkene Stadt Loa und das Mirakelkreuz zu Ried.
Fast halbwegs von Martinszell nach Sulzberg unterhalb Ottackers hat bei dem Weiler Ried in unfürdenklichen Zeiten eine Stadt gestanden namens Loia. Diese Stadt ist dann später aus nicht mehr bekannten Ursachen versunken, aber an ihr ehemaliges Vorhandensein gemahnten schon wiederholt Ziegelsteine, die man auf dem großen ebenen Platze beim Ackern oder bei Erdarbeiten gefunden hat. Diese Ziegelsteine erwiesen sich an Gestalt jedesmal viel länger und dicker, als wie man sie jetzt macht. Näher dem jetzigen Ried zu soll man sogar schon auf förmliche Mauerreste gestoßen sein.
Auf diesem Felde begab es sich nun vor vielen hundert Jahren einmal,
daß eine Wildsau ein goldenes Kreuz mit dem Bildnisse des Gekreuzigten
aus dem Boden ausscharrte. Man nahm das Kruzifix in Ehren auf, band es
dann zwei zusammengejochten Ochsen auf die Hörner, und wo diese mit
dem Kleinod stehen bleiben würden, da wollte man ein Kirchlein bauen
und das Kreuz zur Verehrung aufstellen. Die Tiere liefen eine Zeitlang;
dann blieben sie auf dem kleinen Hügel an der Stelle stehen, wo sich
jetzt in Ried die Kirche befindet, die diesem Umstand ihre Entstehung
verdankt und in der das Kreuz seitdem aufgestellt ist. Mehrmals soll man
früher schon versucht haben, das Kreuz auch in anderen Kirchen aufzustellen;
allein jedesmal sei es dann nachts nach Ried wieder zurückgekehrt.
Darum stand dieses Kreuz aber auch im ganzen "Fürstentum Kempten"
ehedem in besonderen Ehren, und am Kreuzmittwoch, wo alle Kreuze des Ländchens
nach Kempten kamen, durfte keines über die Illerbrücke, ehe
nicht das Rieder Kreuz angekommen war, das den Vortritt
hatte.
Vor etwa 50 Jahren soll einmal das Kreuz gestohlen worden und längere
Zeit verschollen gewesen sein. Da habe bei Wiggensbach ein Hirtenbüble,
das in einem Gebüsch einen Geißelstecken schneiden wollte,
auf dem Boden im Moose einmal etwas goldig Glänzendes und Funkelndes
vorragen sehen; und da sei das Büble heimgesprungen und habe davon
Meldung getan und den Bauer herbeigeholt. Dieser forschte näher nach
und förderte ein Kreuz zutage, das man alsbald als das Rieder Kreuz
erkannte und das hier offenbar der Dieb im Moos versteckt hatte. Man brachte
es in Ehren wieder zurück nach Ried, wo es in der Kirche heute noch
auf einem Stängelchen befestigt zu sehen ist und wo man es alljährlich
am Kreuzmontag bei dem Bittgang nach Sulzberg mitnimmt.
Quelle: Allgäuer
Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter
des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München
1914, Nr. 211, S. 215 - 216.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.