238. Wie die Wilden Pflegedienste heischen und entlohnen.
1.
Als eine Walserin einmal abends von der Feldarbeit heimkehrte, sah sie
mitten auf dem Fußwege eine ungemein große und dicke Kröte
sitzen, so dick, daß sie bei sich lachen mußte und sprach:
"He! so gang doch auf d' Seite, bevor man dich noch vertritt! Ich
will dich dann schon pflegen, wenn du niederkommst!" und schob sie
nun mit dem Fuße seitwärts. Acht Tage darauf kam ein kleines
Männle in das Haus der Walserin und sagte, sie müsse nun mitgehen
und "pflegen", wie sie es versprochen habe, und erinnerte sie
genau an das Versprechen, das sie auf dem und dem Platze der Kröte
gegeben habe. Obwohl sich das Weib anfangs dagegen sträubte, so ging
sie zuletzt um Wort zu halten doch mit, und da führte sie das Männle
dem Schwarzen Wasser und dann dem Hohen Ifen zu und hier zum "Alpmutterloch"
hinein, in dem damals noch wilde Leute hausten. Da fand sich denn richtig
eine Kindbetterin vor, bei der sie nun fleißig die Pflegerin machte,
wie sich's gehört. Sie hatte es im übrigen ganz gut und bekam
auch gut zu essen. Als die Zeit um war, sagte das Männle, er wolle
sie nun wieder heimbegleiten, gab ihr aber noch zuvor als Pflegelohn den
Schurz voll Kohlen. Aber das Weib hatte "mit dem Kohl kein Pläsier"
und ließ unterwegs ein ums andermal absichtlich ein Stück fallen,
was das Männle, das hinter ihr herging, wohl bemerkte und sprach:
"Je mehr as verlerscht, je minder as häscht." Als sie endlich
zu Hause angekommen war und das Männle wieder sich entfernt hatte,
fanden sich in der Schürze statt des letzten Kohlenüberrestes
einige blanke Goldstücke, und nun erkannte das Weib, daß sich
die Kohlen in Gold verwandelt hatten, und bereute sehr, sie nicht besser
"estimiert" zu haben, kehrte auch sogleich wieder zurück
um die weggeworfenen zu suchen. Sie hat aber keine mehr gefunden.
Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers
"Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus"
ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 238,
S. 248f.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.