2. Die zwölf Knaben.
Zu einer Zeit vor vielen hundert Jahren war der Edelmann von Hundbiß (Humpiß [Humpiss]), dessen Ahnen aus dem Württembergischen stammten und sich in Waltrams bei Weitnau niedergelassen hatten, im Kriege abwesend, als zu seiner Ehefrau nach Waltrams ein armes Weib kam und für sich und ihre vielen hungernden Kinder um eine Gabe flehte. Die Edelfrau aber war harten Herzens und wies die Bettlerin rauh ab, ja sie scheute sich nicht, dem Weibe noch ob ihrer vielen Kinder gefühllos und höhnisch Vorhalte zu machen; wenn sie so arm sei, warum sie dann geheiratet und so viele Kinder in die Welt gesetzt habe. Ob dieses Vorwurfes ward die Bettlerin aber von Ingrimm erfaßt, und so tat sie die Verwünschung: Weil du mir meine vielen Kinder so hartherzig vorhältst, so sollst du auf einmal deren gleich soviel bekommen, als Monate im Jahre sind!
Nun geschah es mit der Zeit, daß die Verwünschung in Erfüllung ging und die Edelfrau mit zwölf Kindern niederkam. Darob war die Frau über die Maßen entsetzt, und aus Furcht, der heimkehrende Gemahl werde sie so vieler Kinder wegen der Untreue zeihen, befahl sie einer Magd, daß sie elf der Knäblein in einem Korbe hinaustrage und im Mühlbache ertränke. Würde sie unterwegs gefragt, was sie in dem Korbe habe, solle sie sagen: junge Hunde, die sie ertränken müsse.
Wie nun die Magd mit dem Korbe auf dem Wege war, traf es sich gerade, daß der Herr vom Kriege heimgezogen kam und ihr begegnete. Er hielt sie an und fragte, wohin sie wolle, und was sie in dem Korbe habe. Ja, der Hund habe geworfen, und jetzt müsse sie die Jungen im Mühlbache ertränken. Sie solle die Hündlein einmal sehen lassen, und ob die erschrockene Magd sich auch sträubte, sie mußte den Korb aufdecken, und nun kam alles auf, und sie mußte dem Herrn alles erzählen. Darauf gebot ihr der Edelmann, sie solle von dem Vorgefallenen keinem Menschen etwas sagen und auch der Frau nicht anders melden, als sie habe den Befehl ausgeführt. Die elf Knäblein ließ er aber insgesamt in einem Hause unterbringen, verpflegen und aufziehen, und sie gediehen allesamt gar wohl.
Wie sie nun das zwölfte Jahr erreicht hatten, ließ der Edelherr ein großes Fest und Mahl veranstalten und viele Gäste dazu einladen, heimlich aber die elf Knaben, die genau so wie der zwölfte gekleidet worden waren, ins Schloß verbringen und hier verborgen halten. Als nun alles beim Mahle saß und über Unterschiedliches gesprochen wurde, lenkte der Herr das Gespräch ganz unauffällig auf die Strafen, welche die verschiedenen Vergehen verdienten, und wie sie so darüber miteinander diskutierten, wandte er sich wie aus Zufall gegen seine Gattin, was wohl eine Mutter verdienen würde, die ihre Kinder umgebracht. "Den Tod!" meinte die Frau. "So hast du dir selbst dein Urteil gesprochen," entgegnete der Herr, stand auf, öffnete eine Seitentüre und ließ die bereitgehaltenen elf Knaben hereintreten, worauf er allen Anwesenden die ganze Geschichte erzählte.
Die Frau aber fiel schuldbewußt und reuevoll dem Gemahl zu Füßen
und flehte um Gnade, die sie auch erhielt, worauf allgemeine Freude und
großer Jubel das Fest verherrlichte. In dem Wappen der Hundbiß
finden sich heute noch eine Anzahl Hunde, die an die Geschichte erinnern.
Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen,
Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt
von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 2, S. 5 - 7.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.