Die Hexe und der Schuster
Ein Schuster hatte einen neuen Gesellen bekommen, einen kräftigen
Burschen. Kaum waren ein paar Wochen vergangen, so magerte er ab, und
war jämmerlich anzuschauen. Besonders des Morgens schwankte er wie
ein Gespenst an die Arbeit, bekam scheele Blicke vom Meister und Stichreden
von seinen Nebengesellen. Als er aber mal blässer als je kam, tat
er den Mund auf und sagte, dass er jede Nacht von einer Trud gedruckt
werde und er es hier im Hause ein für allemal nicht mehr aushalten
könne. Der Obergesell sprach: "Ich will dir helfen, mach's so
- und so", und er tat, wie jener sagte. Nachts stellte er sich schlafend.
Wie es Zwölf geschlagen hatte, hörte er vor der Türe Rauschen,
dann ein lautes Blasen durch das Schlüsselloch. Aber ehe sich die
Trud seinem Bette nahen und sich mit einem Pflumpf auf ihn werfen konnte,
kam er zuvor und warf schnell ein Kopfkissen ins Zimmer auf den Stubenboden.
Nun hab ich dich', dachte er und machte Licht; aber auf dem Kopfkissen
saß keine Hexe, wie er vermutet hatte, sondern bloß ein kleines
Strohhälmchen lag darauf, welches er abbrach und zum Fenster hinauswarf.
Des andern Tags aber fanden die Leute unten vor seinem Dachfenster die
alte hässliche Nachbarin nackt auf der Straße liegen, und hatte
den Hals gebrochen.
Quelle: Andreas Haupt, Die schönsten Bamberger
Sagen und Legenden, Bamberg 1877, neu herausgegeben von Gerhard Krischker
2002, S. 29 - 30.