Die Sage von den Blutnelken

Wieder einmal hatte der Falkensteiner Raubgraf bei seiner Burg Kirnstein, an der die Handelsstraße durchs Inntal von Italien her unmittelbar vorbeiführte, mit seinen Gehilfen einem von Süden kommenden, schwer beladenen Kaufmannszug im Wald aufgelauert. Die die Planwägen begleitenden Bewaffneten wurden überrascht und niedergemacht und die Wägen mit ihrer kostbaren Fracht haben die Räuber auf die Burg Falkenstein gebracht. Das Leben des Kaufherrn war geschont worden, denn dafür wollte der Graf Lösegeld von dessen Angehörigen erpressen. Während der Kaufmann im Gefängnisturm einem Ungewissen Schicksal entgegenharrte, wurde ein Knecht auf schnellem Pferd nach Augsburg zur Familie des Gefangenen mit der Lösegeldforderung geschickt. Der vom Tode bedrohte hatte selbst die Botschaft niederschreiben müssen: Wenn seine Frau ihren Mann, seine Kinder ihren Vater wiedersehen wollten, müßten sie dem Boten einen dicken Beutel voll Goldtaler mitgeben. Ansonsten würde er, "der reiche Pfeffersack", vom Bergfried der Burg hinuntergestürzt in die Felsschlucht.

Der Raubritterbote kehrte aber mit leeren Händen auf die Burg Falkenstein zurück. Einige Zeit wartete der Raubgraf noch, ob seine Forderung nicht doch noch erfüllt würde, aber dann wurde er es leid, den im Turm Sitzenden weiter durchzufüttern. Wie angedroht, so geschah es dem Unglücklichen. Räuberknechte warfen ihn von den Zinnen des Turms in die Tiefe. Mit zerschmetterten Gliedern lag dieser nun sterbend im Gras. Sein Blut war aus vielen Wunden verspritzt worden. Als er seine Seele ausgehaucht hatte, erwuchs aus jedem seiner Blutstropfen eine leuchtend rote Blume. "Blutnelken" nennen die unter der Burgruine Falkenstein Wohnenden die blutroten Blüten, die jeden Sommer aus dem Grün der Wiese herausleuchten.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 103