Hexen unterm Brünnsteingipfel

Gar oft werden die Bauernhöfe am Kleinen Berg in Grub und in Zimmerau von bösen Gewitterstürmen heimgesucht, die die kärglichen Äcker, an den Hängen die Weidewiesen und Obstbäume verwüsten. Droben unter der Brünnsteinschanze brauen sich gerne die schwarzgrauen Wolken zusammen, und von dort brausen die Windböen herab und die niederprasselnden Regenfluten schwemmen hoffnungsvoll Gewachsenes weg.

Früher wurde solches Unwetter meistens angekündigt, denn bevor es über den Brünnstein von Westen her herüberkam, zeigte sich auf der Brünnsteinschanze, deutlich zu sehen, die riesenhafte Wetterhexe. Bei schönem Wetter hielt sie sich in den Felsen versteckt. Kam aber Gewitter auf, so fegte sie mit einem Reisigbesen am Berg hin und her. Dabei brachte sie Gestein ins Rollen, das mit Donnergetöse in die Tiefe kugelte. Im grellen Licht der aufzuckenden Blitze war zu erkennen, daß das Riesenweib ganz schwarz war. Aber je nach der Stärke des Unwetters, das sie anzeigte, erschien die Hexe mal größer, mal kleiner. Die Zimmerauer und Gruber schauten dann angstvoll zur Brünnsteinschanze hinauf, machten rechtzeitig vor Ausbruch des Donnerwetters die Fensterläden zu und zündeten in der Stube die Wetterkerze an. Um das Lichtlein herum hockten sich betend die Hausbewohner, die heilige Jungfrau Maria oder den heiligen Laurentius um Schutz anflehend, die beide ja die Dorf- und Flurpatrone waren und noch sind.

Einmal taten sich einige Kleinbergler zusammen, als die Wetterhexe wieder auf der Brünnsteinschanze hervorkam und zu kehren anfing. Sie machten sich auf den Weg zum Hexenfelsen. Als sie fast dort angelangt waren, brach ein furchtbares Gewitter los. Die schneidigen Männer ließen sich davon aber nicht abschrecken. Als sie bald darauf droben auf der Schanz ankamen, sahen sie die Hexe jedoch nicht, soviel sie auch im strömenden Regen und Donnergetöse in den Felsen suchten und sie mit lauten Rufen hervorzulocken suchten. Nichts Auffallendes war zu entdecken. Das Wetter tobte weiter.

Während ihre Frauen daheim voller Sorge um glückliche Rückkehr ihrer Männer beteten und immer wieder hinausschauten in die sturmgepeitschten Regenfluten, ob die Ihrigen endlich heimkämen, gingen diese unverrichteter Dinge wieder hinab zu ihren Berghöfen. Mit großer Erleichterung wurden sie dort empfangen, konnten aber zum Leidwesen der Daheimgebliebenen nichts Besonderes berichten. Als dann einer vor die Haustüre trat, um nach dem Wetter zu sehen, siehe da!: Die Hexe war wieder oben und kehrte mit ihrem gewaltigen Besen die Brünnsteinschanze ab.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 49