Der Kirchenbau zu Ebbs

Gegenüber dem bayerischen Grenzort Kiefersfelden liegt auf dem rechten Innufer in Tirol das stattliche Dorf Ebbs, dessen Name aus dem Keltischen kommt und auf die damals wie heute dort blühende Pferdezucht hinweist. Nachdem die ärgsten Wunden des Spanischen Erbfolgekrieges geheilt waren, in dem 1703 fast das ganze Dorf in Flammen aufging, wollte man eine neue Kirche bauen, wahrscheinlich, um in diesem Punkt den Nachbargemeinden nicht nachzustehen. 1748 wurde der Grundstein gelegt zu einem Bau, der alle Kirchen der Umgebung an Größe und Schönheit übertreffen sollte. Den aus Au bei Bad Aibling stammenden Meister Millauer betrauten die Ebbser mit der Planung, und dieser erfüllte den Wunsch seiner Auftraggeber, denn es entstand ein für das Tiroler Dorf an der Grenze riesiger Kirchenbau. Daß er dabei in große Bedrängnis kam, erzählt die folgende, in Gedichtform verfaßte Sage:

Man will zu Ebbs bei Kiefersfeld sich eine Kirche bau'n,
Und schön zwar. Auf dem Lande soll man selten eine schön're schau'n.
Der Meister spornt die Leute an: "O traget Steine zu!"
Und gerne haben's die getan, fast ohne Rast und Ruh.
So lagen um den Kirchengrund bald Steine ohne Zahl.
Es sprach schön klüglich mancher Mund: "Die braucht man ja nicht all!"
Der Meister geht ans Fundament, doch war der Plan zu groß:
Die Steine gehen früh zu End', das Schmähen gehet los:
"Was hat sich denn der Tor gedacht? Welch' Schande wird uns das!
So viel wir Steine schon gebracht, noch sieht man kaum etwas!"
Da sprach der Meister ernst und gut: "O, lasset euch's nicht grau'n!
Was ihr zur Ehre Gottes tut, wird ihn und euch erbau'n.
Brecht Steine an dem Berge dort! Es ist ja nicht so weit!"
Sie taten's, bauten wieder fort, doch wieder kam der Streit.
Man wird verzagt, denn was man bringt, man bringt da nie zu viel,
Und ach, was auch der Bau verschlingt, noch zeigt sich gar kein Ziel.
Der Jammer wird da vollends Herr. Der Meister steht verhaßt
Und sieht betrübt, wie niemand mehr sich mit dem Bau befaßt.
Er sitzt nun manche Mitternacht noch schlaflos, kummervoll,
Und sieht, wenn er auch immer wacht, nicht, wie er helfen soll.
Da fleht er einst: "O, lieber Gott! Du siehst die Herzen ein.
Ich wollt, daß zu Deiner Ehr' groß sollt' die Kirche sein.
Ich wußte wohl, was ich getan, als ich den Grund gebaut.
Keck war's, doch fing ich mutig an, ich habe Dir vertraut.
So glaubt' ich. Aber ach! Es scheint, daß ich mich selbst betrog,
Und daß des Guten ärgster Feind, die Hoffart, mich belog.
Dann, Herr, verzeih! Ich habe, ach, dann freilich weit gefehlt!
Der bringt den Bau nicht unter Dach, der nicht auf Dich gezählt."
Drauf schlief er ein. Da träumte er: Vollendet sei der Bau,
Zur Kirchweih' ziehe alles her mit Fahnen durch die Au.
Und alles staunt und alles sagt: "O, seht dies Gotteshaus!
Wie nimmt, wo man auch schauen mag, es sich so herrlich aus!"
Und als der Bischof weihend stand und sich der Meister bückt,
Ergriff der Heil'ge seine Hand und hat sie fest gedrückt.
Da störte seines Traumes Lauf ein Tosen, drauf Geschrei.
Erschrocken hört der Meister auf, zu horchen, was da sei.
Ist's Aufruhr? Etwa gegen ihn? Am eh'sten könnt' es sein.
Doch alles eilt zum Berge hin, dort donnerte Gestein.
Es hat sich eine Felsenwand vom Berge losgemacht
Und ohne alle Menschenhand Gestein zu Tal gebracht.
Die Stein' im Wege müssen fort! Die in den Feldern auch.
Man schafft nun gern zur Kirche dort, was man auch immer braucht
Der Meister hat sie ausgebaut. Es ging jetzt ohne Not.
Natürlich: Er hat Gott vertraut und hat gebaut auf Gott!

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 149