Immer wieder geisterte es um die Fuchsenkapelle

Die Tochter vom Vordergruber war eine tüchtige Stöhrnäherin. Das heißt, daß sie ihr Handwerk nicht in der eigenen Werkstatt ausübte, sondern von Hof zu Hof ging, um den Leuten ihre Wünsche zu erfüllen. Ihrer allseits geschätzten Fertigkeit wegen war sie zumeist schon fürs ganze Jahr vorbestellt, "ausgebucht" würden wir heute sagen.

So strebte sie an einem Allerseelentag, einem 2. November also, auf dem Trißlweg Oberaudorf zu, weil sie zum Römerbäck, auch Ramerbäck geheißen, gehen sollte. Das ist die jetzige Bäckerei Rechenauer mitten im Dorf. Für die Bäckerfamilie, die Gesellen und Lehrbuben und für die Dienstboten gab es da allerlei zu flicken, anzustückeln, auszubessern oder neu zu schneidern.

Schon sehr zeitig begann damals ein Arbeitstag, weshalb die Schneiderin schon um vier Uhr morgens auf dem Weg zur Arbeit war. Wie sie dabei in die Nähe der Vierzehn-Nothelfer-Kapelle kam, erhob sich aus dieser plötzlich unter greulichem Gezische und dumpfem Brausen eine grelle Feuersäule und rauschte, senkrecht aufragend, über das Funkfeld, das auf der anderen Seite des Fahrwegs liegt, hinweg. Obgleich die junge Frau sonst recht unerschrocken war, rannte sie voller Entsetzen davon, dem Dorfe zu. Als sie sich keuchend umschaute, stand die Feuersäule mitten im Feld und stürzte dann unter Getöse in sich zusammen und verlöschte.

Vollkommen erschöpft kam die Näherin beim Römerbäck an. Sie war ganz durcheinander und mußte sich gleich zu Bett legen. Es dauerte ganze drei Wochen, bis sie sich von ihrem Schrecken ganz erholt hatte.

An einem Novemberabend war der Pfarrer von Oberaudorf grad mit seinem Mesner auf Versehgang, d. h., er wollte einem Todkranken die letzte Tröstung seiner Kirche, die letzte Ölung und die hl. Kommunion, ins Haus bringen. Die beiden Männer sahen schon von weitem, daß in der Fuchsenkapelle ein Gluthaufen glomm und flackerte. Als sie dem Leuchten ganz nahegekommen waren, verlosch dieses vor der mitgeführten Hostie. Keine Spur davon war mehr zu erkennen.

Ein andermal ging der Behamgruber spät in der Nacht mit seinem Freund vom Wirtshaus heim. Sie wanderten die Trißlstraße hinaus und kamen natürlich auch an der Vierzehn-Nothelfer- oder Fuchsen-Kapelle vorbei. In diesem Augenblick waren sie auf einmal zu dritt. Zunächst waren die beiden nur verwundert über das plötzliche Erscheinen eines Weggenossen, ließen sich aber davon nicht aus dem Trott bringen. Doch da betrachteten sie den von irgendwoher Aufgetauchten näher und mußten zu ihrem nicht geringen Entsetzen feststellen, daß es ein kohlschwarzer Kerl war, der keinen Kopf auf den Schultern hatte. Aber er trug das struppige Haupt unterm Arm. Da wurde es den beiden Männern doch mulmig und sie fingen an, schneller zu gehen, und sie kamen allmählich ins Laufen. Schwitzend vor Anstrengung und auch vor Angst versuchten sie den unheimlichen Begleiter abzuschütteln, aber der blieb dauernd zwischen ihnen beiden. Endlich kamen sie an den Auerbach und waren schon ganz außer Atem. Da war der Spuk so unversehens verschwunden, wie er erschienen war.

Einmal gingen drei Bauern die Trißlstraße hinaus. Es war in einer stockfinsteren Nacht. Deshalb hatten sie auch eine Laterne angezündet. Der Lichtschein sollte sie davor bewahren sich in den Schlaglöchern und Furchen des Fahrwegs die Füße zu verknacksen oder über Erdbrocken und Steine zu stolpern. Soeben gingen sie an der Fuchsenkapelle vorbei, als es mit einem Schlag schwarz vor Finsternis um sie herum war. Die Laterne war erloschen, obwohl noch genug Öl und ein guter Docht darinnen war. Da sauste direkt vor ihren Füßen ein riesengroßer Hund jaulend vorbei. Aus der Kapelle war er herausgesprungen und flitzte nun wie ein rasender Schatten dem Galgenbichl zu. Mehrmals hielt der Hund im Laufen inne und schaute zu den Männern um, und diese sahen, daß das Untier glühende Augen hatte. Endlich verschwand es hinter dem Hügel, der einmal die Richtstätte war. Aus der Ferne waren noch eine Zeit lang Klagerufe zu hören, lang hingezogen und schauerlich. Die unerlösten Seelen von Gehenkten waren umgegangen!

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 43