Der Grenzsteinversetzer

Der Hausl war Maurer und wohnte in einem Häuschen nahe Niederaudorf. Übrigens ist bei uns der Name Hausl die Abkürzung für den früher ziemlich gebräuchlichen Namen Balthasar. Nun, dieser Hausl mochte das Bier recht gern, denn das flüssige Brot war leichter zu schlucken als das vom Wecken geschnittene, und Durst konnte man auf dem Bau schon kriegen, besonders, wenn es so heiß war wie an jenem Augusttag, an dem er nach Feierabend recht lang im Wirtshaus sitzengeblieben war. Eigentlich hat er mehr durch die Kehle rinnen lassen, als zum Durstlöschen nötig gewesen wäre.

So ging der Hausl spät, aber in froher Stimmung, vom Wirtshaus heim. Da hörte er drüben auf der großen Viehweide einen schreien: "Wo soll i eam hitoa?" ("Wo soll ich ihn hintun?"). Der bierselige Maurer hielt in seinem schwankenden Gang kurz an und schaute hinüber, wo der Ruf hergekommen war. Er sah im Finstern schattenhaft ein großgewachsenes Mannsbild, das ein Mordstrumm Stein auf der Schulter schleppte. Der Hausl wollte aber auf seinem Heimweg nicht gestört werden, und sollte das da drüben eine Spukgestalt sein, so war es ihm auch wurscht. Deshalb rief er nur kurz angebunden zurück: "Wost'n hergnomma host!" ("Wo du ihn hergenommen hast!").

Wer da einen Grenzstein herumtragen und den richtigen Platz dafür suchen mußte, das war niemand anderer als der Geist eines betrügerischen Bauern der zu seinen Lebzeiten einen Grenzstein zum Schaden seines Nachbarn versetzt und nun dafür zu büßen hatte. Diese unerlöste Seele war von der groben Antwort des Hausl zu tiefst enttäuscht, denn wieder einmal hatte sie umsonst auf Erlösung gehofft. Da bekam der Hausl plötzlich eine schallende Ohrfeige, daß er auf der Stelle ganz nüchtern war. Er fing an zu rennen und, daheim angekommen, sperrte er sich in seinem Hausl ein aus Angst vor dem Spuk, dem er begegnet war.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 73