Wie der Hechtsee entstanden ist

Wo sich die dunklen Fichten im klaren Wasser des Hechtsees spiegeln, standen in grauer Vorzeit zwei stattliche Bauernhöfe, breit und behäbig in grüner Mulde eingebettet. Von den beiden Bauern betrieb jeder eine blühende Land- und Forstwirtschaft, aber sie waren einander spinnefeind. Warum diese Nachbarsfamilien so sehr zerstritten waren, weiß heute keiner mehr. Vielleicht wußten es damals die Streithanseln selber nicht. Die Zwistigkeiten waren eben seit Generationen da, und wenn sich Leute aus den zwei Bauerngeschlechtern begegneten, so schrien sie sich gegenseitig die übelsten Verwünschungen zu. Diese Verwünschungen sollten eines Tages Wirklichkeit werden. Denn während sich wieder einmal die beiden verfeindeten Bauern über die Grenze ihrer Höfe hinweg die häßlichsten Verfluchungen zubrüllten und alle zwei dabei immer zorniger wurden, da versanken sie urplötzlich zusammen mit all ihrem Hab und Gut, mit Haus und Stall und Scheune und Ländereien, mit Mensch und Tier. Wo die Bauernhäuser standen und die Viehweiden drum herum sich ausgebreitet hatten, da war nun ein tiefer See, dunkelgrün und silber glänzend. Von ihm nahmen die Leute der Gegend sogar an, daß er in seiner unergründlichen Tiefe mit dem Meer in Verbindung stünde.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 36