Das Irrlicht von Kirchdorf am Oberen Wasen

Den alten Raß-Leuten von Kirchdorf hat ihr Vater erzählt, daß er früher, als es noch keine Eisenbahn gegeben hat, oft mit seinem Fuhrwerk nach Kufstein gefahren ist. Er hat hauptsächlich Salz, aber auch allerlei anderes dorthin geliefert. Einmal hat er auf der Heimfahrt gemerkt, daß vor seinen beiden Rössern immer ein Lichtlein vorausgegangen ist. Trotzdem ist die Fahrt so eintönig gewesen, daß er auf seinem Bock eingenickt ist.

Das ist nun damals durchaus nichts Ungewöhnliches gewesen, daß ein Fuhrmann auf dem Wagen geschlafen hat, denn wenn es heimzu gegangen ist, haben die Pferde den Weg von alleine gefunden. Dem Raßvater ist sein Schlummer aber teuer zu stehen gekommen. Seine zwei Pferde sind nämlich durch das Licht in die Irre geführt worden und sind gegen ihre sonstige Gewohnheit nicht zum heimatlichen Stall getrabt. Sie haben erst angehalten, als sie vor dem Friedhof von Ellmosen bei Aibling angelangt waren. Dort war nämlich das flackernde Licht über die Friedhofsmauer weg entschwunden. Als der Raßvater dort aufgewacht ist, war er einmal arg erschrocken, weil er erst gar nicht gewußt hat, wo er nun eigentlich war, und sowas war ihm ja noch nie vorgekommen. Dann aber hat er seine Gäule in flottem Trab nach Kirchdorf zurücklaufen lassen.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 163