Der Kohlensepp in des Teufels Klauen

Noch im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts wurden im Kiefersfeldener Ortsteil Kohlstatt, direkt am Kieferbach gelegen, Kohlenmeiler aufgebaut und von Köhlern Holzkohle gebrannt. Sie wurde besonders in den eisenverarbeitenden Betrieben der Nachbarschaft und der näheren Umgebung, in Schmiedewerkstätten und in den Sensenschmieden gebraucht, aber auch in den Haushalten zum Beheizen der Bügeleisen. Kohlenmeiler brannten noch um 1960 an der Thierseer Ache. So heißt der Kieferbach auf österreichischem Gebiet. Auf einem schmalen Wiesenstreifen zwischen dem Bergbach und der Landstraße, die von Kufstein über Landl und Ursprung nach Bayrischzell führt, wenige Kilometer bachaufwärts von Thiersee, konnte man damals noch dem Köhler bei seiner Arbeit zusehen. Der Bach war der Zubringer für die Kohlstatt, denn auf ihm wurde das Holz getriftet und kam so auf billige Weise direkt vom Holzschlagplatz zum Köhler. Die Köhler waren früher wegen ihrer von Nachbarn meist weitab gelegenen Behausungen, die ja bei den bei Tag und bei Nacht zu beobachtenden Meilern liegen mußten, zumeist seltsame, verschlossene Menschen.

So ein Eigenbrötler, aber von der unguten Sorte, war auch der Kohlensepp von der Kiefer, der in der Kohlstatt seine Meiler rauchen ließ. Er war berüchtigt wegen seines unchristlichen Lebenswandels. Nie ging er in die Kirche und er hielt weder sonntags noch feiertags die gebotene Arbeitsruhe ein und über seine Lippen kamen gotteslästerliche Flüche und Sprüche.

Als er an einem Sonntag einen neuen Meiler aufschichtete, was er genausogut am Montag auch hätte tun können, und mit der Axt schwere Holzroller spaltete, daß es weithin schallte, tat er das aus purer Geldgier. Ein paar andere Köhler, die auf dem Wege zum Sonntagsgottesdienst waren, kamen beim Kohlensepp vorbei. Sie forderten den Sonntagsschänder auf, mit ihnen mitzugehen. Aber er verspottete sie nur auf die übelste Weise.

Gegen Mittag kamen die Kirchgänger auf dem Heimweg wieder beim Kohlensepp vorbei. Sein neuer Kohlenmeiler war noch nicht fertig aufgerichtet, die Axt lag im Gras und vom Köhler war weit und breit nichts zu sehen. Die Männer glaubten, der widerborstige Kollege sei in den Wald gegangen. Sie vermißten ihn auch in den nächsten Tagen nicht, denn in ihre ehrenwerte Gesellschaft paßte er sowieso nicht.

Etwa eine Woche mochte seit jenem Sonntag vergangen sein, da tauchte der Kohlensepp wieder auf. Aber wie sah der Kerl jetzt aus! Seine struppigen, sonst schwarzen Haare waren schneeweiß, sein hageres Gesicht bestand nur noch aus Haut und Knochen und einer überlang erscheinenden Nase, die früher funkelnden Augen flackerten unruhig, und von seinem polternden Wesen war nichts mehr zu merken. Still und wortkarg und ängstlich war er geworden.

So sehr man ihn bedrängte, seine Erlebnisse aus den vergangenen Tagen zu berichten, er gab nur nichtssagende Ausreden von sich. Erst im Laufe von mehreren Wochen schälte es sich heraus, was dem Kohlensepp zugestoßen war: In der Nähe von Langkampfen in Tirol, also einige Kilometer hinter Kufstein, hatte ihn ein Bauer auf seinem Feld liegend gefunden. Wie er dorthin gekommen war? Der Teufel hatte ihn an jenem Sonntagvormittag gepackt und ihn in seinen Klauen im Flug von seinem Kohlenmeiler fortgeschleppt. Über den Reinhardsberg hinweg ging es hinüber ins Tiroler Inntal. Bei dieser bedrohlichen Reise durch die Lüfte ist dem Kohlensepp sein bisheriges wüstes Leben durch den Kopf gegangen, und er hat eingesehen, daß er doch ein schlechter Mensch bisher gewesen war. In seiner größten Not fing er dann gar an, aus ehrlichem Herzen zu beten. Da merkte er, daß sich der Teufel immer mehr der Erde näherte, je inbrünstiger er betete. Als nun auch noch die Glocken von Langkampfen den Sonntagmittag einläuteten, da hat ihn der Satan endlich aus den Krallen gelassen und auf ein Feld geworfen. Dort lag er dann, mehr tot als lebendig, bis ihn ein Tiroler gefunden hat.

Allmählich kehrte dann Ruhe im Gemüt des Kohlensepp ein. Er ist ein ganz anderer Mensch geworden, wenn auch kein besonders liebenswerter, so doch einer, der nun einigermaßen zu seinesgleichen paßte, und er ist als Christenmensch gestorben.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 33