Das Lichtlein im Wald

Fast jede Woche mußte ein Fuhrmann den gleichen Weg mit seinem Fuhrwerk hin und zurück fahren. Dabei kam er immer durch ein großes Waldstück. Jedesmal erwartete ihn am Waldrand unter den ersten Bäumen ein kleines, blaues Lichtlein. Das schwebte vor seinem Gefährt einher, bis der Wald endete. Dort verschwand es ebenso geheimnisvoll wie es erschienen war. Den Knecht überkam jedesmal ein Grausen, wenn er schon von weitem das Lichtlein flackern sah, das auf ihn wartete. In seiner Angst betete er inbrünstig dann den Rosenkranz, solange er durch den Wald fuhr und das Licht vor ihm her wanderte. Auch die Rösser gingen ganz scheu und furchtsam ihren Weg und schienen erleichtert, wenn sie den Wald hinter sich hatten.

Einmal ergab es sich, daß der Fuhrknecht mit einem alten Geistlichen ins Gespräch kam, der ihn nach seiner Fuhre und seinem Woher und Wohin befragte, und da berichtete er sein sich immer wiederholendes Erlebnis. Der Pfarrer aber wußte Bescheid in solchen Fällen und erklärte ihm, daß es sich da nur um eine arme Seele handeln könne. Deshalb müsse er versuchen, dieselbe zu erlösen. Vielleicht gelinge das, wenn er zu dem wandernden Lichte sagte: "Vergelt's Gott fürs Leuchten!".

Bald darauf mußte der Bursche wieder durch den Wald fahren. Das Licht wartete schon auf ihn. Da nahm der Fuhrmann all seinen Mut zusammen und sagte: "Vergelt's Gott fürs Leuchten!". Sofort blieb das Lichtlein stehen und sprach: "Du hätt'st mi scho lang erlös'n können, wenn'st g'wollt hätt'st". Und dann war das Lichtlein verschwunden und ist auch nie wieder gesehen worden.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 63