Warum das kleine Nußdorf gleich zwei Kirchen sein eigen nennt

Unter den drei Gipfeln des Heubergs liegt das idyllische, ruhige Dorf Nußdorf am Inn. Es wurde früher beschützt von zwei Burgen, auf denen die Ritter von Ramsau und die von Clammenstein saßen. Der Ort war schon vor 1200 Jahren Pfarrei. Große Wohltaten erhielt der Ort von den sehr reichen Clammensteinern. Hoch über dem Steinbach gegen den Kirchwald zu soll ihr Schloß gestanden sein. So gut war es um diese Rittersleut' bestellt, daß sogar der Herzog von Bayern tief in ihrer Schuld stand und ihnen zinspflichtig war.

Der letzte Ritter auf Clammenstein hieß Konrad III. und er war unverheiratet. Ihm wurde einmal prophezeit, daß er vom Blitz erschlagen würde. Abergläubisch, wie er war, zog er sich in eine Höhle in der Nähe seiner Burg zurück und hauste dort viele Jahre. In seinem Testament bestimmte er, daß, wenn die Weissagung in Erfüllung gehen sollte, sein Leichnam auf einen mit zwei Kühen bespannten Wagen gelegt werden müsse. Dann solle man die beiden Zugtiere ganz alleine gehen lassen, wohin sie wollten. An dem Platz aber, wo die Kühe mit seiner Leiche stehen bleiben würden, müßte von seinem hinterlassenen Vermögen ihm zur Sühne und -Gott zur Ehre eine Kirche erbaut werden.

Als einmal Ritter Konrad bei heiterem Himmel seine Felsenwohnung verließ und zwischen Nußdorf und Überfilzen dahinritt, braute sich rasend schnell ein Gewitter zusammen. Ehe der heimgaloppierende Ritter die schützende Höhle erreichen konnte, entlud es sich. Von den rundum herniederzuckenden Blitzen erschlug einer den Flüchtenden mitsamt seinem Roß. Im Jahre 1402 soll das gewesen sein.

Nun verfuhr man, wie der Verstorbene es bestimmt hatte: Aus der Nähe wurde ein mit zwei Kühen bespannter Wagen herbeigeholt, der tote Clammensteiner, der letzte seines Stammes, wurde daraufgelegt, und dann ließ man die Kühe ihres Weges dahintrotten, wohin sie eben wollten. Und sie wandten sich Nußdorf zu und erst drinnen im Dorf hielten sie an. An dieser Stelle wurde dann die zweite Kirche errichtet. Sie wurde dem Roßpatron Leonhard geweiht und mit einer schweren Eisenkette umgeben.

An jener Stelle, wo Konrad III. von Clammenstein der Tod ereilt hatte, ließen die Nußdorfer einen Gedenkstein für ihren Wohltäter setzen. Dort stand er bis zur Säkularisation und wurde dann als "Denkmal des Aberglaubens" entfernt und vernichtet.

Das Wappen der Ritter von Clammenstein, ein schräg gestellter Mauergiebel, ist heute das Siegel der Gemeinde Nußdorf am Inn.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 134