Das Marterl am Ortnerfeld

Das Ortnerfeld erstreckte sich früher zwischen dem heutigen Postamt und der Eisenbahnlinie in Richtung Bahnhof Oberaudorf. Im Garten des damaligen Oberflußmeisters Leitner an der Ecke Bahnhofallee - Erlenaustraße stand ein kleines Marterl. Später wurde es wegen Kanalisationsarbeiten einige Meter weiter in Richtung Postamt verlegt. Gegenüber dem Tennisplatz steht die kleine Steinsäule jetzt unter den Kastanien beim Postamt. Diese trägt ein Bildchen, auf dem kurioserweise zu sehen ist, wie ein bayerisch uniformierter Soldat auf einen zu Boden stürzenden Mann mit einer Heugabel einsticht. Die Inschrift dazu lautet: "Geschehen wie hier zu sehen anno 1646". Was war damals geschehen?

Der seinerzeitige Ortnerbauer war auf seinem Feld, dem "Ortnerfeld", beim Mistbreiten. Da schritt der Gerichtsschreiber des Pfleggerichts Auer-burg von Oberaudorf in voller Montur auf ihn zu. Dieser ist der oben erwähnte bayerische Uniformierte. Der Beamte hatte dem auf seinem Feld Arbeitenden ein amtliches Schreiben zu übergeben. Der Bauer las an Ort und Stelle, was ihm die Amtsperson da ausgehändigt hatte. Während des Lesens stieg ihm immer mehr die Zornesröte ins Gesicht und er steigerte sich schließlich in blinde Wut hinein. Es war ihm nämlich mitgeteilt worden, daß er einen Prozeß, den er schon über Jahre geführt hatte, nun endgültig verloren hatte. Blau vor Grimm ging er mit seiner Mistgabel auf den überraschten Beamten los. Der aber war flink genug, dem Ortner das zum Mordinstrument umfunktionierte Arbeitsgerät aus den Händen zu reißen, und er stach damit den Ortnerbauern nieder.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 10