Der Ritter von Kirnstein mit dem Faß voll Gold

Der Kirnsteiner Bauer liegt direkt unterhalb der Burgruine Kirnstein an den Bergwald hingeduckt an der Straße zwischen Niederaudorf und Fischbach. Dahinter ragt der Wildbarren in die Höhe und drüben überm nahen Inn das Kranzhorn, das eigentlich, wie in Tirol üblich, "Grenzhorn" heißen müßte, weil die Grenze über seinen Gipfel läuft. Die beiden Berge bilden hier die engste Stelle des Inntals, wo auch eine Wetterscheide liegt, die besonders zu Anfang und Ende des Winters spürbar ist. Übrigens, "Kirnstein" ist das altdeutsche Wort für "Mühlstein".

Dort beim Kirnsteiner Bauern war vor gut einhundertfünfzig Jahren an einem Sonntag alles in die Kirche nach Niederaudorf gegangen. Nur eine Dienstmagd hütete das Haus und sorgte dafür, daß der Sonntagsbraten rechtzeitig auf den Tisch kommt, wenn die Kirchgänger heimkommen. Weil sich hier an der Grenze, die der Inn hier bildet, oft allerlei Gesindel herumtrieb, hatte sie die vordere und die hintere Haustüre von innen fest verriegelt. Die Heimkehrenden würden dann schon klopfen, wenn sie eingelassen werden wollten.

Grad schaute die Köchin nach ihrem in der Ofenröhre brutzelnden Braten, als plötzlich die Haustüre, die hinten hinaus auf den schmalen Anger am Waldrand führte, ganz von selbst aufsprang. Ein alter Ritter, der schon längst verstorben sein mußte, rollte ein großes Faß vor sich her in den Hausgang. Er war mit einem bunten Wams bekleidet und trug ein mit einem verblichenen farbigen Federbusch geschmücktes Barett auf dem Kopf. Das Faß war so schwer, daß sich die Dielenbretter durchbogen und zu zersplittern drohten. Schnaufend vor Anstrengung blieb der Geist unter der Küchentüre stehen und stellte das Faß auf. "Hilf mir doch! Erlöse mich!" schrie er mit flehend erhobenen Händen dem Weib in der Küche zu. Er zeigte ihm auch den Inhalt des Fasses. Es war voll von Gold, das nur so glänzte. "Das alles soll dir gehören, wenn du mich erlöst!" stöhnte das Gespenst von neuem. Die Magd aber war so erschrocken, daß sie an der unheimlichen Geistergestalt vorbei aus der Küche hinausrannte und mit lautem Geschrei in den Keller hinunter floh. Zitternd vor Angst hockte sie sich in die hinterste dunkle Ecke und horchte ängstlich in die Finsternis um sie herum. Jetzt hörte sie, wie der da oben im Hausflur jämmerlich zu stöhnen anfing. Sie vernahm seine schweren, schlürfenden Schritte und wie das Faß wieder über den ächzenden Boden gerollt wurde.

Endlich wagte die Magd einen Blick die Kellertreppe hinauf. Sie sah gerade noch, wie die Haustüre wieder von selber aufflog und dann hinter dem Ritter krachend ins Schloß fiel. Der innen steckende Schlüssel drehte sich knirschend. Schnell sprang die Verängstigte ans Kellerfenster. Von da aus beobachtete sie, wie der Ritter das Faß mit dem Schatz den steilen Burgberg hinaufrollte, und sie hörte, wie er laut wehklagte, daß seine Erlösung wieder auf hundert Jahre hinaus verzögert wurde. Dann verschwand die Gestalt samt ihrem Goldfaß hinter den Mauern der Ruine.

Nachdem diese spukhafte Begebenheit sich herumgesprochen hatte, kamen gar oft Liebhaber von einem Goldfaß nach Kirnstein und suchten und gruben in der Burgruine und um sie herum. Aber alles war umsonst. Den Schatz fand keiner und auch der Geist des Ritters war und blieb verschwunden.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 74