Das Niesen

Unterhalb Eschau, von der Aubachbrücke bis zur Wegscheide, hörten einst die Leute zur Nachtzeit immer jemand kräftig niesen. Hatzi, hatzi! Aber sehen konnte man nichts, sosehr man auch nach allen Seiten ausspähte. Bei Tage, oder wenn irgendein Mensch zu erblicken gewesen wäre, hätte einem das viele Niesen lachend gemacht. So aber klang es unheimlich durch die Mitternachtsstille, und die Wanderer gingen jenes Wegstück eiligen Schrittes und atmeten auf, wenn sie die Wegscheide und die Aubachbrücke hinter sich hatten. Einmal nun kehrte der Eschauer Hannese Fritz vom benachbarten Rück nach Hause, und als er an den Kreuzweg kam, wo der Bergpfad zum Neuhof und nach Streit abzweigt, hörte er niesen: "Hatzi, hatzi!" Dreimal, viermal und mehr. Der Mann sann vor sich hin, dachte gar nicht daran, dass er am verrufenen Platz vorüber schritt und sagte nach seiner Gewohnheit: "Helf Gott!" Darauf antwortete eine Stimme: "Dank Gott!" und sie fügte noch bei: "Ein Glück, dass du mich angesprochen hast, jetzt bin ich erlöst." Bis der Hannese Fritz recht zu sich kam und ihm der Schreck in die Haare steigen wollte, hatte die Stimme ausgeredet, und es war alles wieder still. Von der Stunde an blieb das unheimliche Niesen fort und ließ sich nicht wieder hören.

So kann der Wanderer um Mitternacht getrost jenen Weg gehen; man hört nur das trauliche Murmeln des Aubaches und das freundliche Rauschen der Erlenbüsche im Nachtwind.

Quelle: Spessart-Sagen, Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 110