Der Schafdieb
Zwischen dem Dorfe Hobbach und dem Weiler Unteraulenbach stand früher ein einzelnes großes Gehöft: der Dillhof. Sein Pächter hatte von jeher eine eigene Schäferei. Die Talwiesen und der Grashang an der rechten Hofseite bildeten treffliche Weideplätze. Ober Nacht ruhten die Schafe im Lattenpferch beim Wohnhause.
Vor vielen Jahren geschah nun, dass dem Hofbauer die schönsten Schafe
gestohlen wurden. Aber von Dieben entdeckte man nichts. Wenn der Bauer
einmal nicht schlief, blieben auch die Tiere unbehelligt. Als er eines
Tages wieder nachdachte, was zu tun wäre, fuhr ihm ein Gedanke durch
den Sinn. Mit der Drohung: "Wart nur,Gesindel!" beschloss er
seinen Plan auszuführen. Gegen Abend nahm er die zweiläufige
Flinte aus der Kammer und bestieg einen Baum, von dem er den Hürdenstall
überschauen konnte. Die Zeit ward ihm freilich lang, und er wollte
um Mitternacht missmutig den hohen Sitz verlassen. Da erblickte er einige
Gestalten, die um den Hof schlichen und zu den Fenstern der Schlafstube
hineinlugten. Alles schien ruhig. Wie ein unförmlicher, schwarzer
Klumpen ragte das einsame Gehöft in die mondhelle Nacht. Die Diebe
kletterten vorsichtig über den Zaun. Der bleiche Mond blinzelte verächtlich
auf einen Diebesgesellen, der soeben ein Schaf erfasste und sich mit ihm
davonmachen wollte. Ja, wenn der Bauer im luftigen Verstecke nicht gewesen
wäre! Der drückte in mächtiger Wut das Gewehr an die Wange,
ein Schuss, ein Schrei - und der Dieb lag am Boden. Seine Genossen hoben
ihn geschwind auf und schleppten ihn heimlich ins nahe Dorf. Im Viehstalle
des Wiesenhofbauern starb der schwer verletzte Dieb. Um jede Spur des
Geschehenen zu verwischen, rissen seine Kumpanen den Stallboden auf und
begruben den Toten darunter. Seit dieser Nacht aber wurde das Vieh unruhig.
Es zerrte an der Kette, hüpfte geängstigt auf und brüllte.
Eines Morgens fand man gar die schönste Kuh im Stalle, die "Blaß",
erwürgt vor. Sie hatte sich in die eigene Kette verschlungen. In
dieser Not riet der Nachbar, den Stallboden aufzuhacken; vielleicht wäre
etwas zu entdecken, was mit der Peinigung des Viehes im Zusammenhang stünde.
Da sah man einen Leichnam, dem nun der Bauer sein Unglück zuschrieb.
Und er lud den Toten auf den Wagen und fuhr ihn auf einen Acker, der zur
Abteilung "Donneräcker" gehörte. Hier wurde die Leiche
des Diebes verscharrt. Kein Kreuz, kein Stein bezeichnete den Ort des
Begräbnisses. Allein wie erstaunte der Bauer, als er im nächsten
Jahre auf seinem Felde widriges, hohes Dornengestrüpp erblickte!
"Premedörner", sagen die Leute dort. Der ärgerliche
Mann suchte sie aus zu rotten, doch vergeblich. Immer wieder schössen
neue hervor wie Zeichen eines unglückseligen Todes. Und wenn einer
nachts den Feldweg hinunterging, dann wandte er ängstlich den Blick
nach dem verrufenen Acker und war froh, wenn er ihn hinter sich hatte.
Seit einigen Jahren blieb das Dornengestrüpp aus, so dass die Leute
meinen, die Seele des so elend umgekommenen Diebes habe ihre Ruhe gefunden.
Quelle: Spessart-Sagen,
Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 123f