Die Schweinheimer Bäuerin

Die Frau Holle verkehrte oft unerkannt mit den Menschen, um sie zu prüfen. So kam sie einmal, als Hausiererin gekleidet, in einen Schweinheimer Bauernhof. Es war gegen Abend. Frau Holle nahm den schweren Rückenkorb ab, lehnte ihn an die Treppe und wartete auf die Bäuerin, die alsbald mit einem vollen Melkeimer an jeder Hand vom Stalle herüber ging. Heute hatten die Kühe besonders reichlich Milch gegeben, die Eimer waren bis an den Rand gefüllt, und die Bäuerin errechnete im Stillen, dass ihr die ausgestoßene Butter einen hübschen Batzen Geld einbringen werde. Als sie die Staffel hinauf will und in die Küche, steht eine Hausiererin da und bittet: "Liebe Frau, kauft mir etwas ab, eine bunte Schürze oder ein Halstuch! Ich hab' auch schöne Spielsachen für die Kinder!"

Die Bäuerin war mit ihren Gedanken bei der Silbermünze, die ihr die fette, schaumige Milch einbringen sollte, und wies die Fremde barsch ab. "Macht, dass Ihr weiterkommt", sagte sie, "von umherziehendem Gesindel kaufe ich nichts." "So nehmt wenigstens eine Kleinigkeit", bat Frau Holle, "es fehlt mir noch das Herbergsgeld für die Nacht." Die Schweinheimer Bäuerin aber blieb hart. "Nichts kaufe ich", schrie sie zornig, "für keinen roten Heller. Hinaus, alte Streunerin, und lasst Euch nimmer blicken!"

Die Frau Holle verließ den Hof, wandte sich am Tor nochmals um und sagte ruhig: "Die paar Heller hätten Euch nicht arm gemacht. In wenigen Tagen, Bäuerin, sollt Ihr erfahren, wie es einem zumute ist, der kein Obdach hat."

Am folgenden Samstag ging die Schweinheimer Frau in die Stadt, wo sie Verschiedenes zu besorgen hatte. Sie verspätete sich, es war dunkel geworden, und die Bäuerin verirrte sich auf dem Heimwege in ein Wäldchen, das sich nächst dem Wege erstreckte. Sie lief nun während der ganzen Nacht kreuz und quer durchs Gehölz und konnte keinen Ausgang finden. Schließlich brach sie vor Erschöpfung zusammen. Als sie nicht nach Hause kam, gingen die Angehörigen nach ihr suchen. Aber erst am Dienstagmorgen konnten sie die Vermisste hinter einem Gebüsch entdecken, gar nicht weit ab von der Straße. Da lag die Bäuerin todmatt und vermochte vor Schrecken und Erschöpfung kein Wort zu sprechen. Nach etlichen Tagen hatte sie sich etwas erholt und erzählte, dass sie die Leute vorbeigehen hörte, aber vor Schwäche nicht um Hilfe rufen konnte.

Die Bäuerin ward künftig eine große Wohltäterin der Armen und von den Schweinheimern bloß die gute "Bäs" (Base) genannt.

Quelle: Spessart-Sagen, Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 28 - 29.