Die Tempelritter

Als die "Templer", die einem Ritterorden angehörten, in Frankreich verfolgt wurden, suchten sie ihre Zuflucht in andern Ländern, so auch in Deutschland. Der damalige Kurfürst von Mainz gewährte mehreren Flüchtlingen Unterkunft und wies ihnen einen Hügel bei Rottenberg im Spessart an, wo sie sich häuslich niederlassen durften. Sie erbauten sich eine kleine Burg.

Es war damals eine schlimme Zeit in Deutschland. Zwischen den Herzögen Ludwig von Bayern und Friedrich dem Schönen von Österreich war ein hartnäckiger Kampf um die deutsche Kaiserkrone entbrannt. Dazu brachte ein Missjahr große Hungersnot, und endlich kam auch noch die Pest. Niemand war mehr seiner Habe sicher; denn Raub und Diebstahl waren an der Tagesordnung. Gegenüber dem Berge, auf dem sich die vertriebenen Templer angesiedelt hatten, erhebt sich der Gräfenberg. Auf diesem stand die feste Burg der drei Brüder von Greifenburg. Sie waren aus einem hochangesehenen Adelsgeschlechte, und auch die drei Brüder galten vor der Welt als ehrenhafte Ritter. Darum suchten die benachbarten Templer ihre Freundschaft und traten mit ihnen in ein Bündnis zu Schutz und Schirm. Auf jeder Burg wurde ein Türmchen errichtet und darin eine Glocke aufgehängt. Das Läuten des Glöckleins in der einen Burg sollte ein Zeichen sein, dass die Bewohner sich in großer Gefahr befänden, und das Läuten hernach in der anderen Burg sollte ansagen, daß die Hilfe nahe wäre. So glaubten sie vor jedem räuberischen Überfalle sicher zu sein. In einer stürmischen Winternacht erscholl nun das Glöcklein der Templer laut und klagend durch die Luft, allein auf dem Gräfenberg blieb es so still wie im Grabe. Das Nachbarglöcklein wimmerte schwächer und schwächer und verhallte endlich mit ein paar leisen Klängen gleich den letzten Seufzern eines Sterbenden. Die Siedlung der Templer war von Räubern überfallen worden, aber nicht von fremden: Die Greifenberger hatten es getan, hatten die Templer erschlagen und ausgeraubt.

Am anderen Morgen fand man die Tempelritter in ihrem Blute liegen; einer von ihnen hielt in der krampfhaft geschlossenen Hand noch das Seil des Glöckleins, womit er die verräterischen Bundesgenossen zu Hilfe rufen wollte. Alle Bemühungen zur Wiederbelebung der Templer waren vergebens. Nur ein einziger kam noch einmal zur Besinnung und konnte sagen, wer die Mörder waren.

Ein dunkles Gerücht hatte schon früher die Greifenberger als geheime Räuber bezeichnet; ihre letzte Freveltat schrie nach Sühne. Der Kurfürst Peter von Mainz ließ den Gräfenberg erstürmen, die Raubmörder hinrichten und ihre Burg von Grund aus zerstören.

Die Templersiedlung wurde nicht mehr bewohnt. Sie verfiel allmählich, aber die Ruinen verblieben noch lange, bis auch ihre Steine von den Landleuten abgebrochen und zu anderen Gebäuden verwendet wurden, so dass weiter nichts mehr zu sehen ist.

Auf dem Gräfenberge aber wandeln von Zeit zu Zeit drei finstere Gestalten, jedoch nicht in ritterlichem Schmuck, sondern vermummt wie Räuber mit großen Schlapphüten.

Quelle: Spessart-Sagen, Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 84f