Die Kirche zu Watterbach

Im Jahre 1779 wollten die Watterbacher Einwohner an Stelle der alten Kapelle, die baufällig geworden war, eine neue größere Kirche errichten. Sie machten sich fleißig ans Werk, gruben die Fundamente aus, und bald waren auch die Grundmauern fertig. Wie die Leute am anderen Morgen zur Baustelle kamen, erschraken sie nicht wenig; denn die Grundmauern waren eingestürzt. Sie richteten diese neuerdings auf und mit noch größerer Sorgfalt als das erste Mal. Aber am folgenden Tag lagen die dicken Steinmauern wieder als Trümmer am Boden. Da befiel die Watterbacher ein
großes Entsetzen, und sie getrauten sich zunächst nicht mehr, das Gestein wieder aufzufügen. Nach einiger Zeit versuchten sie es doch wieder; Stein um Stein, und die Fugen dazwischen füllten sie mit bestem Mörtel aus, damit ja kein Einsturz mehr vorkäme. Ansehnlich und fest stehen die Mauern, so, als ob sie durch nichts erschüttert werden könnten.

In der nächsten Frühe eilen die Einwohner voll Erwartung und heimlichen Bangens ans Dorfende. Und was müssen sie sehen? Ein Trümmerfeld statt der sorgsam aufgeführten Mauern. Jetzt erkennen die Leute in dem seltsamen Geschehen einen Fingerzeig Gottes, und sie suchen nach einem anderen Bauplatz für die Kirche. Allein sie konnten sich darüber nicht einig werden und gedachten es einer Fügung des Himmels zu überlassen, wohin die Kirche zu stehen kommen sollte.

Was taten sie nun?

Sie spannten zwei "ungewöhnte" Stiere vor ein Bauholz und trieben sie an. Wo die Tiere zuerst anhalten und stehen bleiben, dahin wollen die Walterbacher ihre Kirche bauen.

Die Tiere rasen mit dem Holz das Dorf hinaus und rennen weiter, bis sie an einen dichten Holunderbusch am westlichen Berghang gelangen. Da machen sie halt und gehen keinen Schritt mehr weiter. Die Watterbacher Leute eilen herzu und erblicken zu ihrem Staunen im Busch eine brennende Kerze. Ist das nicht ein Wink Gottes? Ja, jetzt wissen die Dörfler den Platz für ihre Kirche. Und mit heiligem Eifer gehen sie an die Arbeit. Die wunderbare Kerze aber, die ohne Docht immerfort brannte, wurde in das neue Gotteshaus verbracht und will vom Vater des Dorfältesten noch gesehen worden sein. Im napoleonischen Kriege jedoch wurde sie von durchziehenden französischen Truppen mit fortgenommen.

Watterbach hatte also seine neue Kirche am passenden Ort, droben am Berghange. Allein es war für sie noch kein Schutzpatron bestimmt. Die Dorfgemeinde versammelte sich bei der alten Linde, und sie berieten, was für einen Schutzheiligen sie nehmen sollten. Da befand sich plötzlich ein altes Männlein in ihrer Mitte mit einer Kötze auf dem Rücken. Er zog aus dem Korb zwei Figuren, die stellten Sankt Sebastian und Sankt Mauritius dar, und der grauhaarige Alte sprach: "Nehmt die zwei zu Kirchenpatronen", und dann verschwand er. Also setzten die Watterbacher diese beiden Heiligen zu Schutzpatronen ihrer Kirche ein und feiern sie als solche noch bis heute.

Quelle: Spessart-Sagen, Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 147f