RITTER TUSCHEL VON SÖLDENAU
Ritter Tuschel von Söldenau war lange, lange Junggeselle geblieben. Endlich aber, als die Haare sich zu verfärben begannen, entschloß er sich noch, auch in das Joch der Ehe zu kriechen. Er freite "das blonde Röslein", als die Schönste weitum im Land bekannt. Was er ihr an den Augen absehen konnte, tat er, verschaffte er. Und so oft er ausritt, immer kam er heim mit einem Stück Goldgeschmeide oder mit Spitzen und Brokat. Dafür tat sie ihm aber auch so schön, strich ihm die Wangen und kratzte ihm das Kinn.
Wenn er, wie es im Jahr etliche Male eintraf, auf eine Burg der Nachbarschaft geladen war, sei es zu lustigem Trunk und Spiel, sei es zu frischfröhlicher Jagd, so gab es nicht selten Necken und Spott, wobei Tuschels Alter und Röschens Jugend und Schönheit die Rolle spielten. Unser Tuschel zog allemal die Brauen hoch und schwor Bein und Stein auf Röschens Treue.
Nach Jahr und Tag zog er wieder einmal auf Fehde. In der Burg zu Söldenau ward es öd und still. Es blieb ja nur die Herrin und ihr Page mit etlichen Dienstleuten zurück und die erstere weinte beim Auszug der Reiter bitterlich; sollten doch Wochen vergehen, bis ihr Gemahl wieder heimkehren konnte. Als dann nach Umfluß dieser Wochen der Ritter in Siegerstimmung und beutebeladen wieder ins Schloß einritt, wartete er vergebens auf den Willkommengruß der Liebsten. Dafür schlürfte die alte Kammerfrau den Gang entlang und schluchzte: "Herr! Euer - Röschen - findet ihr - nimmer. Es ist - verschwunden!" Da warf Tuschel die Wehr von sich und eilte durch die Gänge, stieg auf den Speicher hinauf und in den Keller hinunter. An jedem Gelasse pochte er und hundertmal rief er: "Röschen! Mein Röschen!" Umsonst. Nun befahl er der Kammerfrau, den Pagen, dessen Obhut die Schloßherrin anvertraut war, zu holen. "Ach Herr", wimmerte die Alte, "auch der Page scheint gestohlen zu sein. Er findet sich nirgends im Schloß und die Wäsche der Herrin und ihr ganzer Schmuck und was noch - ich weiß es nicht - ist auch verschwunden!" Erst war Tuschel fassungslos; dann machte er sich auf, Röschen zu suchen. Drei Jahre lang zog er in schlichter Pilgergewandung die Donau entlang und die Gefilde des Rheingaues hindurch, stieg auf die Berge und in die Täler, frug in allen Dörfern und Städten, in Burgen und Klöstern. Schließlich führte ihn der Weg auch ins Welschland hinunter. Dort, in einem abgelegenen Dörflein, machte er halt und wo über der Tür das Zeichen Meister Knieriems hing, wollte er zukehren, um die zerrissenen Stiefel ausbessern zu lassen. Und der Meister - Tuschel! Tuschel! erkennst Du ihn? - war der verschwundene Page. Und - ist Frau Meisterin, die drinnen in der dumpfen Stube den Jungen ätzt, nicht das blonde Röschen? Hör' Tuschel, wie sie den kleinen Schreihals beschwichtigt:
Tuschel kommt und frißt Dich im Nu!"
Da kehrt Tuschel auf der Schwelle um und ein paar Tränen rollen ihm über den Bart. Es hat ihn noch niemand erkannt.
Er trabt wieder zurück über die Alpen gegen Söldenau, wo er noch einige Jahre sein Ritterleben weiterführte, d. i. fleißig trank und jagte, focht und fluchte. Eines Tages aber klopfte er im Chorherrenstift zu Vilshofen an und trat als Mönch ins Kloster ein, dem er sein Hab und Gut vermachte.
Auf einer Marmorplatte ließ er folgenden Spruch meißeln:
Sie sich niemaln guet vertragen,
Item zwo gams auf Ainem stain:
Ich der Tuschel - bleib' allain."
Dieser Spruch ist heute noch in Vilshofen zu lesen.
Nach Adalbert Müller
Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen