Die drei Linden auf dem Kirchhofe.

Auf dem Kirchhofe des Hospitals zum Heiligen Geiste in Berlin haben vor vielen Jahren, wie das bejahrtere Leute noch immer von ihren Aeltern gehört haben, drei gewaltig große Linden gestanden, die mit ihren Aesten den ganzen Raum desselben weithin überdeckten. Das Wunderbarste an diesen Bäumen war, daß sie mit den Kronen in die Erde gepflanzt waren und dennoch ein so herrliches Wachsthum erreicht hatten; aber dieses Wunder hatte auch die göttliche Allmacht gewirkt, um einen Unschuldigen vom Tode zu erretten. Vor vielen vielen Jahren lebten nämlich zu Berlin drei Brüder, die mit der herzlichsten Liebe einander zugethan waren und mit Leib und Leben für einander einstanden. So lebten sie glücklich und zufrieden, als dies Glück plötzlich durch einen Vorfall gestört wurde, den wohl keiner hätte ahnen können. Denn so unbescholtenen Wandels auch alle drei bisher gewesen waren, wurde doch der eine desselben des Meuchelmordes angeklagt, und sollte, obgleich er noch kein Geständniß gethan, da alle Umstände die ihm zu Last gelegte That wahrscheinlich machten, den Tod erleiden. Noch saß er im Gefängnisse, als eines Tags seine beiden Brüder vor dem Richter erschienen, und jeder derselben sich des begangenen Mordes schuldig erklärte. Kaum hatte dies der zum Tode verurtheilte vernommen, als auch er, indem er erkannte, daß seine Brüder ihn nur retten wollten, der That geständig wurde und so statt eines Thäters auf einmal drei vor Gericht standen, von denen jeder mit gleichem Eifer behauptete, daß er allein jenen Mord begangen. Da wagte der Richter nicht den Urtheilsspruch an dem ersten zu vollstrecken, sondern legte den Fall zuvor noch einmal dem Kurfürsten vor, welcher verordnete, daß hier ein Gottesurtheil entscheiden solle. Er befahl daher, ein jeder der drei Brüder solle eine junge, gesunde Linde mit der Krone in das Erdreich pflanzen, so daß die Wurzeln nach oben stünden; wessen Baum dann vertrocknen würde, den hätte Gott selbst dadurch als den Thäter bezeichnet. Dies Urtheil wurde auch sogleich beim Anbruch des Frühlings vollzogen, und siehe da! nur wenige Wochen vergingen und alle drei Bäume, die man auf dem Heiligen-Geist-Kirchhofe gepflanzt hatte, bekamen frische Triebe, und wuchsen bald zu kräftigen Bäumen heran. So ward denn die Unschuld der drei Brüder erwiesen, und die Bäume haben noch lange in üppiger Kraft an der alten Stelle gestanden, bis sie endlich verdorrt sind und anderen Platz gemacht haben.

Quelle: Kuhn, Adalbert, Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin, 1843. Nr. 116, S. 202.