DER LETZTE GROSCHEN

In der Mark Brandenburg kam, als im Lande Teuerung herrschte, ein armer Bauer zu einer Edelfrau und klagte über seine große Not. Er habe eine kranke Frau und viele kleine Kinder und für sie alle nichts zu essen. Die Edelfrau möge ihm doch einen Scheffel Korn vorstrecken. Sie aber schlug die Bitte ab; sie könne nur gegen Bezahlung das Korn geben.

Der Mann ging fort und bettelte und suchte das Geld zu leihen, und er brachte es mit großer Not zusammen. Doch fehlte ihm ein Groschen. Wieder ging er zur Edelfrau und zählte ihr das Geld vor. "Aber da fehlt ja noch ein Groschen!", sagte sie hart. Der arme Mann flehte sie an, aber sie wollte ohne den fehlenden Groschen kein Korn geben.

Weinend ging der Arme fort und endlich gelang es ihm, auch den letzten Groschen zu leihen. Damit ging er nun wieder zur Edelfrau und legte ihn ihr in die Hand. Dabei fiel das Geld hin. Sie bückte sich danach, doch da verwandelte sich das Geldstück in eine große Schlange. Die biss die Frau und sie war nach drei Tagen tot.


Quelle: Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Ausgabe 1930