ST. VICTORS ERSCHEINUNG IM DOM

Im Jahre 1311, als man am St. Victorstage dem Heiligen zu Ehren im Dom eine feierliche Prozession veranstaltet hatte, und der Domdechant, Herr Boege, über der Taufe stand zwischen dem Diacon und Subdiacon, sprach er zu den beiden Herren, die sich neben ihm befanden: »Wer mag der stolze Ritter sein, der da mitten im Dom steht?«

»Herr,« - erwiederten sie »mit Eurem Willen und Urlaub, da steht ja Keiner.« »Seht Ihr Niemand jenseits der Taufe stehen?« fragte der Dechant noch einmal. Und als sie es wiederum verneinten, und auch der Kämmerer, welchen er befragte, nichts sehen wollte, ging der Dechant nach der Seite hinüber, wo der Ritter stand, redete ihn an und bat ihn, daß er St. Peters Brot mit ihm essen möchte. Jener antwortete, daß ihm solches nicht zustände. Als ihn aber der Dechant um seinen Namen fragte, erwiederte er: »Ich bin Victor, den ihr hier begeht in der Ehre Gottes.«

Da sah alles Volk, wie der Dechant niederkniete, um dem Heiligen seine Ehrfurcht zu erweisen. In demselben Augenblick aber war dieser verschwunden, und der Dechant erzählte nun alle Dinge, die ihm mit St. Victor begegnet waren.


Quelle: Friedrich Wagenfeld, Bremen's Volkssagen, Bremen 1845, Erster Band, Nr. 18