DER ALTEN FRIESEN SEEABENTEUER

Zur Zeit des Erzbischofs Bezelin, mit dem Beinamen Allebrand (1035-43), unternahmen einige vornehme Friesen eine Entdeckungsreise, um sich davon zu überzeugen, ob die gewöhnliche Meinung, daß sich im Norden der Weser kein festes Land mehr finde, gegründet sei. Der Volksglaube dachte sich dort nur eine ungeheure, unbegränzte Meeresfläche, die Libersee genannt.

Jene Gesellschaft ging also muthig in See, ließ Dänemark rechts, England zur Linken liegen und gelangte nach den orkadischen Inseln; jetzt ließen sie Norwegen rechts liegen und erreichten nach langer Fahrt das eisige Island. Als sie von diesem Lande abfuhren zur Weiterreise und jene Gewässer bis zu den äußersten Enden durchschifft hatten, so daß sie alle Eilande hinter sich liegen sahen, empfahlen sie ihr kühnes Wagniß dem allmächtigen Gott und dem heiligen Willehad; denn sie geriethen in eine undurchdringliche Finsterniß und bald darauf in einen heftigen Meereswirbel. Sie flehten darauf die Barmherzigkeit Gottes an, daß er nur ihre Seelen zu sich nehmen möge. Da wurden sie durch eine heftige Gegenströmung zurückgeworfen, so daß sie durch diese, ihnen zu rechter Zeit gewordene, Hülfe Gottes aus der augenscheinlichsten Gefahr gerettet wurden; denn jetzt war es ihnen möglich, durch angestrengtes Rudern dem Strudel zu entkommen.

Aus jenem gefahrvollen Dunkel, jenen Strömungen und jener Kälte waren sie also wieder erlößt; da kam ihnen nach einiger Zeit eine von hohen, steilen Klippen umgebene Insel zu Gesicht, welche fast das Ansehn einer ungeheuern Stadt mit gewaltigen Festungswerken hatte.

Einige von den Reisenden stiegen ans Land, um das Innere des Eilandes zu untersuchen. Da fanden sie zur Mittagszeit die Menschen in unterirdischen Höhlen verborgen. Vor den Thüren dieser Höhlen lag eine unendliche Menge Geschirre von Gold und köstlichem Metall. Sie nahmen davon, soviel sie tragen konnten und eilten froh zu ihren Schiffen zurück. Da sehen sie plötzlich hinter sich Menschen von wunderbarer Größe, nur mit einem einzigen Auge mitten auf der Stirn; vor ihnen her verhältnißmäßig große Hunde in gewaltigen Sprüngen, die auch einen von den Schiffern erreichten und sogleich in Stücken rissen.

Den übrigen Friesen gelang es, unversehrt ihre Fahrzeuge zu erreichen; sie wurden aber bis auf die hohe See von den schreienden Riesen verfolgt. Nach allen diesen Fährlichkeiten kamen sie endlich nach Bremen zurück, wo sie dem Erzbischof Allebrand Alles der Reihe nach erzählten und dem frommen Christus und dessen Bekenner Willehad, der glücklichen Heimkehr wegen, ihre Dankopfer darbrachten.


Quelle: Friedrich Wagenfeld, Bremen's Volkssagen, Bremen 1845, Erster Band, Nr. 16