Der Wechselritt

Bei einem Fuhrmann in der Neuenstraße dienten ein Paar Knechte, welche Bettgenossen waren. Die hatten Knochen wie die Riesen, waren thätig und anstellig, und strotzten in der Fülle der Gesundheit. Als aber der Winter kam, ging mit dem, welcher vorne schlief, eine auffallende Veränderung vor; er wurde blaß und mager, klagte über Mattigkeit in allen Gliedern, wurde stumpfsinnig und träge, und es geschah nicht selten, daß er bei hellem lichten Tage vor Müdigkeit einschlief.

Dieser Wechsel entging dem Herrn so wenig als den übrigen Hausgenossen, und das Schicksal des armen Burschen ging ihm sehr zu Herzen; denn er hatte ihn seiner Rührigkeit und seines bescheidenen Wesens halber Heb gewonnen. Aber es war vergebens, daß er ihn aufforderte, zum Arzt zu gehen, um sich ein Heilmittel zu holen; er behauptete steif und fest, sein Zustand sei der Art, daß ihm kein Arzt helfen könne. Das einzige Mittel, ihn dem sicheren Tode zu entreißen, sei, wenn der Herr ihm seine Entlassung gäbe, daß er ungehindert wieder nach seiner Heimath wandern möchte.

Fastnacht war vor der Thür, wo die Knechte der Fuhrleute mit ihren neuen Röcken haufenweise durch die Straßen ziehen und sich vor den Häusern angesehener Bürger aufstellen, um durch ihren regelmäßigen, fröhlichen Peitschenknall die Bewohner zu ergötzen und sich ein ansehnliches Trinkgeld zu verdienen. Aber auch diese Lockung war nicht stark genug für ihn, und er war nicht eher ruhig, als bis der Herr ihm seinen Abschied gegeben. Seine Hausgenossen sahen nun wohl, daß er vom Heimweh geplagt sei und mochten ihn nicht länger zurückhalten. Nur sollte er solange warten, bis der Schnee sich etwas vermindert haben würde und die Wege gangbar wären.

Diesen Vorschlag ließ er sich gern gefallen; er blieb noch einige Tage, und man sah wie die Aussicht auf seine nahe Freiheit ihn sichtlich stärkte. Niemand hatte mehr von ihm gehalten, und Keinem ging die Abreise näher, als dem ändern Knecht. Dieser kannte der Welt Lauf wie kein Anderer, denn er war schon Soldat gewesen, und er konnte es sich nicht einbilden, daß es das Heimweh sein sollte, was seinen Gefährten in dieser öden und unfreundlichen Winterzeit aus der Stadt triebt. Er setzte ihm also lange zu mit Bitten und Verweis und ruhte nicht eher, als bis er den rechten Grund erfahren hatte.

"Ich würde über die Sache schweigen," sagte der Verabschiedete endlich, als er den dringenden Vorstellungen seines Freundes nicht länger widerstehen konnte. "Aber der Gedanke, daß Du zurückbleiben mußt, und daß nach meiner Abreise wahrscheinlich die Reihe an Dich kommen wird. - Nun, vielleicht gelingt es Dir Vorkehrungen zu treffen, wenn du im Voraus von Allem unterrichtet bist. Ich werde nämlich jede Nacht einige Stunden geritten."

"Geritten?" wiederholte der Andere mit halb ungläubigen Lächeln.

"Und dabei so entsetzlich abgetrieben," fuhr der Erste fort, "daß ich des folgenden Tages zum Tode erschöpft bin. Ich sehe, daß Du meiner Erzählung wenig Glauben schenkst, aber laß Dir das Ding erklären."

"Kaum liege ich im ersten Schlaf, so wird mir eine Halfter übergeworfen; in dem Augenblicke muß ich zum Bette heraus und ich bin von Stund' an in ein Pferd verwandelt. Thor und Thür sind offen, ich merke es, daß sich Jemand leicht auf meinen Rücken schwingt, ich spüre die Sporen in meinen Weichen und jeder Widerstand ist unmöglich. Ich muß Straß' auf Straß' ab mit Windeseile, daß die Funken aus den Steinen fahren, und nicht eher macht der Reiter Halt vor der Stallthüre, als bis ich jeden Augenblick zusammenzubrechen drohe. Ist dir nun meine Mattigkeit und die Abnahme erklärlich?"

Der andere Knecht war solcher Dinge nicht gefaßt und schwieg einen Augenblick. Dann aber erkundigte er sich, was hernach aus dem Reiter werde.

"Wenn mir die Halfter wieder abgenommen ist," erwiederte der Erste kleinlaut, "werde ich keines Reiters gewahr. Mitunter läuft eine Katze über den Weg, und ich suche, vor Kälte halb erstarrt, so schnell wie möglich wieder ins Bett zu kommen. Ich zittere schon, wenn ich an die nächste Nacht denke, aber ich freue mich zugleich, daß es die letzte sein wird."

"Eine Katze hast Du laufen sehen?" fragte der Andere, der unterdessen nachgesonnen hatte, und dem es jetzt einfiel, daß er früh Morgens im frisch gefallenen Schnee die Spuren einer Katze bemerkt hatte, die von der Stallthür über den Hof bis zur Planke des Nachbarn führten. "Diese Nacht werde ich Deinen Platz einnehmen, und Du schläfst hinten," rief er plötzlich mit entschlossener Miene. "Ich denke, daß Dir der Tausch nicht mißfallen wird."

Der Kranke war von Herzen froh über diesen unerwarteten Wechsel, den er sich nie getraut hatte vorzuschlagen und war neugierig, wie sein Gefährte sich aus der Schlinge ziehen würde. Dieser verständige Mann aber legte sich des Abends völlig angekleidet zu Bett, mit Sporen an den Füßen und eine Halfter vor sich auf der Decke, daß er sie jeden Augenblick greifen konnte. Dann legte er sich zurecht und fing an, herzhaft zu schnarchen, als wenn er in tiefen Schlaf gefallen wäre.

Nicht lange nachher hörte er ein leises Geräusch vor dem Bette. Fußtritte waren nicht hörbar, aber das Rasseln der Spangen an einem Pferdegeschirr kam deutlich näher. Jetzt richtete sich der Vordermann in die Höhe, setzte sich in Verfassung, und als er die Halfter gegen sich erhoben spürte, kam er mit einem schnellen Ruck seinem Gegner zuvor und konnte jetzt ungehindert seine Halfter an einem Pferdekopf befestigen; obgleich es stockfinster war, so daß er nichts sehen konnte, so belehrte ihn doch ganz deutlich sein Gefühl, daß die langen Mähnen desselben vor Schrecken sich sträubten.

"Nun, Frau Nachbarin," rief er, als er mit dem Aufzäumen fertig war, "wollen wir Beiden es einmal mit einander versuchen!" Er ergriff die Peitsche, welche er schon in Bereitschaft gelegt hatte, Thür und Thor stand offen, wie gewöhnlich, und der Zurückbleibende sah mit Schrecken, wie sein verwegener Gefährte die Rollen umgetauscht hatte und in wildem Galopp von dannen brauste. Nur noch einen Augenblick hörte er das Knallen der Peitsche und die raschen Hufschläge. Dann verhallte Alles in weiter Ferne.

Lange horchte der Zurückgebliebene, ob der Andere nicht wieder zurückkehren würde. Es wollte ihm mitunter bedünken, als höre er in der Entfernung Pferdegetrappel, aber es war nur auf einen Augenblick; er meinte, er müsse sich getäuscht haben, und endlich legte er sich ins Kissen zurück, zog sich die Decke über den Kopf, befahl Gott seine Seele und fiel zuletzt in einen tiefen Schlaf. Als er am folgenden Morgen erwachte, freute und wunderte er sich nicht wenig, seinen Freund unversehrt neben sich im Bette zu finden.

Es dauerte lange und er mußte ihn einige Zeit rütteln und stoßen, ehe er ihn aus seinem Todesschlaf erwecken konnte; die Anstrengung der verflossenen Nacht mußte denselben offenbar sehr ermüdet haben. Endlich schlug dieser die Augen auf; aber es dauerte lange, ehe er sich besinnen und seinem neugierigen Nachbar genügenden Aufschluß über sein nächtliches Abenteuer geben konnte.

Da erzählte er denn, wie er bei genauer Erwägung aller Umstände auf den Gedanken gekommen sei, daß der nächtliche Ritt nichts mehr und nichts weniger sei, als bloße Neckerei irgend eines muthwilligen Nachbarn, und daß er danach seine Maßregeln genommen habe, um diesen Quälereien durch eine Gegenlist mit einem Male ein Ende zu machen.

Zu diesem Behuf habe er getrachtet, dem unsichtbaren Gegner zuvorzukommen, und sei ihm Solches über Erwarten gelungen. Er habe sich dann auf den Gaul geschwungen und habe durch alle Straßen der ganzen Stadt einen Ritt veranstaltet, daß Alles, Nachtwächter, Hebammen, Wäscherinnen und was sich sonst bei nächtlicher Weile draußen zu befinden pflege, ihm aus dem Wege geflohen sei, nicht anders, als wenn er der leibhafte Teufel wäre.

Endlich habe er gespürt, daß die Mähre nicht mehr könne, und daß sie stürzen würde, wenn er seine Ausfahrt nicht mäßige. Da sei er von unzeitigem Mitleid ergriffen worden gegen die Kreatur und habe sich angeschickt, im Schritt zurückzureiten. Er hätte also in die Straße eingelenkt und wäre nicht fern mehr vom Hause gewesen, als er beim Nachbar, dem Schmid, der schon immer so früh an der Arbeit zu sein pflege, Licht gesehen und den hellen Schlag der Hämmer vernommen hätte. Da hätte ihn der Muthwillen überwältigt, und er wäre vorgeritten bei dem Nachbarn. Der hätte sein Wunder gehabt, wie ihn denn der liebe Gott schon so früh herführte.

Er habe dem Schmid geantwortet, es könne ihm einerlei sein, wer ihn hergeführt. Sein Herr schicke ihn, um den Gaul beschlagen zu lassen.

"Da trat," fuhr er fort, "der Nachbar herzu, schüttelte bedenklich den Kopf und beleuchtete das Pferd von oben bis unten, rief seine Gesellen herbei, und Alle wunderten sich über die Schönheit meines Braunen. Ich sagte ihnen, der Herr habe ihn gestern Abend erhandelt, und sie sollen sich flugs an die Arbeit begeben; denn wir wollten das Pferd heute früh mit einspannen."

"Nun ging es an ein Hämmern und Schmieden, und in Kurzem waren die Eisen fertig. Ich war abgestiegen und hielt das Pferd am Zügel, und es kümmerte mich nicht, daß es dampfte vom schnellen Jagen, sich bäumte, ausschlug und auf alle Weise sich loszureißen suchte. Wie es sich auch gebärdete, es wurde richtig beschlagen, ich stieg wieder hinauf und sprengte die Straße hinab bis vor den Stall. Hier stieg ich behutsam herunter, löste geschickt die Halfter, sprang behend hinein und schlug die Thür hinter mir zu, unbekümmert um die Paar Schläge, welche dagegen donnerten; denn die falsche Kröte, der Halfter entledigt und also meiner Gewalt entnommen, suchte mich noch in der Eile zu zertrümmern und zu zermalmen."

"Einen Augenblick hernach hörte ich vor dem Stalle ein klägliches Katzengeschrei, und beeilte mich, wieder ins Bett zu kommen."

Der Zurückgebliebene verwunderte sich sehr über diese Erzählung und ging den ganzen Morgen gedankenvoll herum, bis mit einem Male die Nachricht von Haus zu Hause ging, daß man die Frau des reichen Nachbarn, die gestern Abend gesund und wohl zu Bett gegangen, diesen Morgen todt auf ihrem Lager gefunden habe und zwar unter den bedenklichsten Umständen; denn sie sei beschlagen gewesen an Händen und Füßen, wie ein Pferd. Da ging ihm ein Licht auf, wer der nächtliche Reiter gewesen, der ihn so sehr mißhandelt habe; und er freute sich, daß das Weib und mit demselben seine Plage gestorben war.

Seinem klugen Freunde aber gelobte er, nie etwas von dieser Geschichte zu offenbaren. Als aber der Herr des folgenden Tages fragte, wann er abzureisen gedächte, sagte er, er habe sich eines Ändern besonnen, und wenn der Herr ihn in seinen Diensten behalten wolle, so würde er bleiben.

Und so geschah es; er und sein Freund waren noch manches Jahr in diesem Hause; aber Keiner von Beiden hat jemals das Geringste über diesen sonderbaren Vorfall gesprochen.

Quelle: Friedrich Wagenfeld, Bremen's Volkssagen, Bremen 1845, Zweiter Band, Nr. 21