Herrn Dirk Wrak's Großmuth.
(1270.)
Es geht die Sage
von Herrn Dirk oder Ditrich Wrak, dem Aeltesten dieses Namens, der Ao.
1268 in den Rath gekoren ist, daß er ein sehr edler, großmüthiger
Mann gewesen sei, der selbst seinen Feinden Böses mit Gutem vergolten
habe.
Wie's sich nun ereignet,
daß große Männer ihre Widersacher haben, so traf es sich,
Gott weiß, aus welchen Ursachen, daß der Herzog von Sachsen
(der zu Lauenburg) dem Herrn Wrak abgünstig wurde. Er aber fürchtete
wohl Gott, jedoch keinen Menschen, that Recht und scheuere Niemand. Darum
focht ihn seines fürstlichen Feindes Groll auch gar nicht an. Der
aber ergrimmte deshalb nur noch mehr, und schrieb ihm nach damaliger Weise
einen Absagebrief, darin stand's ehrlich und Deutsch: "Sei auf deiner
Hut, zumal wenn du reisest und durch mein Land ziehest, denn ich lass'
dir aufpassen, und wenn ich dich ertappe, so muß du ohne Gnade hängen,
den hänfenen Strick dazu führe ich allerwegen mit mir. Wornach
sich zu achten." Das war keine frohe Kunde, und manchen guten Rathmann
späterer Zeit hätt's die Lustfahrten in den Sachsenwald und
alles Reisen bitter verleidet, wenn solche Botschaft an ihn gelangt wäre.
Aber Herr Dirk Wrak lachte darob, meinte nur, er müsse wohl ein Abwehrmittel
gebrauchen, das sollte aber glimpflicher sein, als die Drohungen. Ließ
also eine starke silberne Kette schmieden, etliche Ellen lang, die trug
er mehrfach um Hals und Brust geschlungen, als sei's zum Zierrath. Und
schrieb darauf an den Herzog etwa so: "Ew. Durchläuchtigkeit
gnädigen guten Willen habe vernommen, und vermelde dagegen zur schuldigen
Danksagung in aller Devotion, daß ich allemal, wenn ich gen Lübeck
zur Tagfahrt reite, zwar keinen gemeinen hänfenen Strick, sondern
ein silbern Kettlein bei mir führe, daran ich Ew. Durchläuchtigkeit
henken will, wo ich Derselben mächtig werde. Wornach sich zu achten."
Ob nun der Herzog
aus dieser kühnen Antwort des beherzten Mannes sich wenig Ersprießliches
für seinen Handel versah, oder ob ihn dessen Großmuth, die
seinen Strick mit dem Silbergeschmeide vergalt, das Herz rührte,
worauf denn Beide ihre Erbietungen für gute harmlose Schwanke passiren
ließen: genug, weder Strick noch Kettlein sind gebraucht, sie haben
sich Beide ungehängt gelassen, bis ihr natürlich und will's
Gott selig Ende, das bei Herrn Dirk Wrak Ao. 1301 erfolgte, worauf er
zu St. Petri im Leichenhause begraben worden unter dem sogenannten blauen
Stein. Und die armen Leute, zumal die im heiligen Geist-Spital, sind über
seinen Tod sehr betrübt gewesen, denn er hat die löbliche Gewohnheit
gehabt, an allen Abenden von Sonn- und Festtagen (und damals gab's der
letzteren noch dreimal mehr als jetzt) jedem Armen ein Brodt und ein Licht,
oder dessen Werth, nämlich einen Pfennig, zu verehren.
Im Wappenschilde
hat aber Herr Wrak einen Arm geführt, in dessen bloßer Hand
ein lodernd Feuer zu sehen ist, was den kühnen Muth des tapfern Mannes,
dessen Hand wohl manch' heißes Ding angefaßt hat, ohne sich
zu verbrennen, genugsam bezeichnet. Man muß brennende Fragen nur
keck und fest angreifen, dann thun sie kein Weh, das ist eine alte Wahrheit.
Quelle: Otto Beneke,
Hamburgische Geschichten und Sagen, Hamburg 1886. Nr. 29