Johann Kletze
(1427.)
Nachdem 1426 zwischen den Holsteinischen Grafen und dem König Erich von Dänemark aufs Neue ein Krieg ausgebrochen war, trat Hamburg auf die Seite der Grafen, und widerstand mit ihnen siegreich vor Schleswig und Gottorp dem Dänischen Heere, welches sodann das Land räumte, als auch die Hansischen Ostseestädte dem Könige absagten. Im Vorjahre 1427 griffen deren Schiffe die Dänen auf ihren Inseln an, während die Landtruppen, Holsteiner, Lübecker und Hamburger, bis Flensburg vordrangen und diese feste Stadt belagerten, welche aber starken Widerstand leistete, weshalb um Ostern von Hamburg noch eine ansehnliche Verstärkung junger Kriegsleute zu Fuß wie zu Roß unter dem Rathsherrn Johann Kletze, als Hauptmann, eintraf, und ein besonderes Lager aufschlug.
Johann Kletze war ein sehr tapferer, muthiger Mann, dem es unleidlich war, noch länger auf Erstürmung der Stadt zu harren. Aber die Grafen, die den Oberbefehl führten, verboten den Angriff, da sie noch andere Hülfstruppen erwarteten. Ungeduldig über den Verzug und das müßige Leben im Lager, brennend vor Thatenlust und begierig nach Ruhm und Ehre, faßte Johann Kletze den Vorsatz, die Erstürmung der Stadt zu erzwingen und selbst der Erste auf den feindlichen Mauern zu sein. Am Abend vor dem Himmelfahrtsfeste (den 28. Mai) spendete er seinen Leuten einige Tonnen Hamburger Biers, theilte ihnen sein Vorhaben mit, und indem er beim Anbruch der Nacht die Stadt mit glühenden Pfeilen und Bolzen beschießen ließ, führte er sie zum schnellen Ueberfall und Sturm gegen die Stadt; die jungen Krieger, eben so kühn und unbesonnen wir ihr Anführer, folgten ihm gern.
Das plötzliche Getöse aber hatte das ganze Lager erweckt; man rüstete und wappnete sich, einen Ueberfall der Dänen vermuthend; und schneller als die Uebrigen eilte der ritterliche Graf Heinrich herbei, ein ächter Schauenburger, der wollte im Kampfe nicht der Letzte sein, und an seinen Großvater, Isern Hinrik, denkend, flog er den Hamburgern und ihrem Hauptmann voraus, entriß einem Landsknecht die Sturmleiter und erstieg mit blankem Schwerte die Mauer. Aber auch die Dänische Besatzung war wach geworden und hatte an den glühenden Pfeilen die Richtung des Angriffs wohl erkannt, darum, als Graf Heinrich die Mauer fast erstiegen hatte, traf ein so gewaltiger Lanzenstoß den Fürsten Brust, daß er todtwund zur Erde fiel, woraus auch das tollkühne Unternehmen des Johann Kletze gänzlich verunglückte.
Graf Heinrich war in sein Gezelt getragen, wo er nach wenigen Stunden seinen Heldengeist aufgab. Er war kaum 30 Jahre alt geworden, und Jedermann hatte ihn geehrt und geliebt, weil er ein so edler und tapferer als freundlicher und milder Herr gewesen. Als sein Tod im Lager ruchbar wurde, herrschte allgemeine Bestürzung der Trauer. Der Lüb'sche Bürgermeister gab nun die Sache verloren, und trotz aller Gegenrede des Grafen Adolf, der die Belagerung fortsetzen wollte, schifften die Lübecker sich ein und segelten nach Hause. Da meinten die Hamburger, nun wäre ihres Bleibens auch nicht länger dort, zumal sie und ihr Hauptmann Kletze von allen Holsteinern als die Ursache des ganzen Unglücks angesehen wurden. Darum folgten sie dem unseligen Beispiel der Lübecker und zogen ab und heim, worauf die übrigen Bundesgenossen auch nicht länger blieben und die Belagerung aufhoben.
Und bald darauf im Juni-Monat hatte auch die Hansische Flotte, befehligt von den Bürgermeistern Tidemann Steen von Lübeck und Hinrich Hoyer von Hamburg, Unglück gegen die Dänischen und Schwedischen Schiffe, vorzüglich, weil die Lübecker den Angriff der Hamburger schlecht unterstützten. Die Bürgermeister und der Hamburger Rathsherr Johann Voß wurden sogar gefangen nach Copenhagen geführt, und der Verlust an Schiffen und Ladungen war sehr groß. Erst nach fünf Jahren konnten Hoyer und Voß ausgelöst werden, und Tidemann Steen wurde in Lübeck drei Jahre im Thurme und lebenslang in seinem Hause in Haft gehalten. In Hamburg war über diese Verluste die Trauer groß. Aber auch der Zorn gegen die, welche sie verschuldet hatten. An Tidemann Steen konnte man nicht kommen, aber Johann Kletze mußte seine Ungeduld schwer büßen. Er wurde in die Frohnerei gesetzt und peinlich verklagt. Zwar war die Anschuldigung des Verraths, welche der von den Bürgern erwählte Sechsziger-Ausschuß gegen ihn erhob, völlig grundlos und konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Aber dennoch gab die bei einem Kriegshaupt-manne nicht zu rechtfertigende Unbesonnenheit und Tollkühnheit, zumal aber sein Handeln gegen höheren Befehl, den Sechszigern Grund genug, um das Todes-Urtheil wider ihn durchzusetzen. Am St. Antonius-Abend wurde er auf öffentlichem Markte (dem Berge) enthauptet, und sühnte durch mannhaftes und frommes Sterben den durch unglücklichen Erfolg so verderblich gewordenen Fehler seines Lebens.
Auch in anderen Hansestädten mußten die Anführer der Zuzüge für die Verluste büßen; in Wismar wurden Bürgermeister Johann Bandskow und Rathsherr Hinrich von Hären enthauptet, und in Rostock entzogen sich die vier Bürgermeister nur durch schnelle Flucht der Volksjustiz.

Quelle: Otto Beneke, Hamburgische Geschichten und Sagen, Hamburg 1886. Nr. 49