DIE KREMPER GLOCKE

Wieviel die Hamburger des Goldes übrig und genug hatten, erhellt aus dieser Sage. Zu Krempe hing eine herrliche Glocke in dem Kirchturm. Es hatte sich bei ihrem Guß etwas Besonderes zugetragen; da nämlich die Speise schon flüssig und alles zum Gusse fertig war, hatte der Meister noch ein Geschäft und befahl dem Lehrjungen die Obhut des Gießofens. Dastand auf einer Kapelle ein Schmelztiegel, in welchem Silber floß, der Meister mochte das wohl zu einer Zier oder Inschrift benutzen wollen, der junge aber meinte, das müsse noch zur ganzen Masse, um sie recht gut und wohlklingend zu machen, und schüttete den Tiegel voll Silbers hinein zur Glockenspeise. Der Meister kam gerade dazu, ergrimmte und schlug mit seinem Stock so hart auf den jungen, daß dieser tot niederfiel. Der Glockenguß fand statt, und als nun die Glocke Maria getauft war, in ihrem Stuhle hing und geläutet wurde, da hatte sie von dem Silber gar einen hellen, reinen Klang, dergleichen noch niemand so schön gehört hatte, aber immer klangen und lauteten die Worte hindurch: Schad um den jungen! Schad um den Jungen.

Da nun die Glocke so schön tönte, wurden die Hamburger neidisch auf die Kremper und machten sie ihnen feil. Sie boten und boten und boten zuletzt eine Kette von Gold, so groß, daß sie um ganz Krempe herumreichen sollte. Das waren endlich die zu Krempe zufrieden, die gute Maria ward auf einen Wagen gesetzt und fortgefahren. Aber auf einer nahen Anhöhe stand der Wagen und sank ein. Es wurde vorgespannt noch so viel, die Pferde vermochten nicht, ihn weiterzubringen. Da spannte man zwei Pferde am hintern Teile des Wagens an, und siehe, mit Leichtigkeit ließ er samt der Glocke sich ziehen, wieder hinab nach Krempe zu. Da hing die Maria bald wieder im Turm und ließ ihre wehmutvolle Klangstimme ertönen: Schad um den jungen! Im Kriege der Russen gegen die Schweden, der auch über diese friedlichen Gefilde sich hinwälzte, haben die Schweden die schöne Kirche von Krempe in die Luft gesprengt, aber von der Glocke ist nichts entdeckt worden. Die Sage geht, sie sei in die Erde versunken und werde dereinst wohl wieder gefunden werden.

Die Sagen von versunkenen Glocken sind über ganz Deutschland zahllos verbreitet, die vom Glockenguß in Verbindung mit des Lehrlings Tod begegnet nicht minder an vielen Orten, z. B. in der Stadt Breslau; Glocken in Wassertiefen hört man läuten, sowohl aus Orten, die wegen ihrer Sünden versanken, als auch einzelne Glocken, welche räuberisch hinweggeführt wurden und dann sich selbst der Räuberhand entrückten, so eine von Haddeby, eine von Gramm in Nordschleswig, eine Kapellglocke aus Neukirchen, eine im Flemhuder See u. a.


Quelle: Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853