DER HERRGOTTSBERG BEI DARMSTADT
Mündlich

Vor alter Zeit sollte auf dem jetzigen Herrgottsberg eine Kirche gebaut werden und zwar in Folge eines Gelübdes, welches die Gemeinde Bessungen zur Zeit einer allgemeinen Noth gethan hatte. Man schaffte das Material dazu hinauf, Holz, Steine, Alles, was zum Bau nöthig war und wollte denselben in Angriff nehmen, als man eines Morgens alles das am Fusze des Berges wieder fand. Man hielt diesz für ein Werk böser Menschen und trug Holz und Steine wieder herauf, aber am folgenden Morgen fand man es von neuern im Thal. Da beschlosz der Baumeister selbst Wache zu halten und ging nebst einigen Gesellen Abends auf den Berg, wo er sich versteckte. Gegen Mitternacht sah er eine schwarze Gestalt, die das Holz nahm und mit Leichtigkeit herunterwarf, die gröszten Balken, wie die gewöhnlichsten Dielen. Obschon erstaunt und einigermaszen erschrocken, wagte sich der Baumeister doch hervor und fragte den Schwarzen, wie er sich erkühnen dürfe, das für des Herrn Haus Bestimmte frevelhaft vom Platz zu werfen und die Arbeit also zu hindern. Da lachte der Schwarze höhnisch und sprach: "Eben weil ihr solch ein Haus bauen wollt, hindere ich die Arbeit, wolltest du mir eins bauen, es stände schon da, bevor der Tag anbricht." Der Baumeister, ein kluger Mann, besann sich schnell und sprach: "Wohlan, das Haus soll dein sein, wenn es bis Morgen früh fertig dasteht." Er merkte nämlich wohl, mit wem er zu thun hatte, und bedang sich nur aus, dasz der Schwarze nach dem bereits fertigen Plan bauen müsse, was auch zugestanden wurde. Zufrieden mit seinem Handel ging der Baumeister nach Bessungen zurück und geraden Wegs zum Pfarrhaus, wo er sich mit dem Pfarrer berieth, bis die Sonne schon hoch am Himmel stand. Da läuteten unerwarteter Weise alte Glocken der Kirche und verwundert strömte die Gemeinde zusammen und jeder fragte, was das wohl bedeute? Der Pfarrer trat unter sie und ermahnte sie, sich rasch zu einer feierlichen Prozession auf den Herrgottsberg zu bereiten. Es dauerte nicht lange, da zog ganz Bessungen, das Kreuz an der Spitze unter Gebet und Gesang dem Berge zu, auf dessen Höhe die Kapelle schön im ersten Gold der Morgensonne strahlte. In der Thür stand der Teufel und rieb sich schon lang die Hände vor Freude, als er aber die heiligen Lieder hörte, wie sie näher und näher drangen, wurde es ihm schwül und schwüler. Da blitzte ihm plötzlich das Kreuz entgegen, es rückte gleichfalls seinem Bau näher, er sah, dasz er überlistet war und eilte von dannen, so dasz die Prozession ungestört in die Kapelle einzog. Aber er beschlosz sich zu rächen und alle zu tödten, die eben in der Kapelle waren: er risz einen ungeheuren Felsblock los, erhob sich mit demselben in die Luft und warf ihn gegen das Dach des Kirchleins. Wäre ihm sein Wurf gelungen, dann hätte nicht mancher Bessunger sein Leben gerettet, aber der Schutz Gottes war mit den Andächtigen, der Stein prallte ab und fiel, ohne Schaden zu bringen, neben der Kirche nieder. Da liegt er denn noch und als Wahrzeichen sieht man an der Stelle wo ihn der Böse gefaszt hatte, dessen Krallen eingedrückt.

Andere sagen, nicht der Baumeister, sondern sein erster Geselle habe bei dem Bau gewacht und dem Teufel seine Seele verschrieben, um des Baumeisters Tochter, die er liebte, zu gewinnen. Der Meister, erfreut über die rasche und schöne Vollendung des Baus, habe sie ihm auch sofort gegeben und die Hochzeit sei gefeiert worden. Da habe es Abends dreimal an die Thüre geklopft, der Bräutigam sei herausgetreten, um nachzuschauen, wer da sei, aber nicht zurückgekehrt. Am folgenden Morgen habe man frische Blutspuren vor der Kapelle gesehn.


Quelle: Hessische Sagen, J. W. Wolf, Leipzig 1853, Nr. 7, S. 6