DIE HÖHLE IM ALTKÖNIG
Mündlich

Es ging eine Frau den Altkönig hinan, die hatte Gras geschnitten, trug's in einem Korb auf dem Kopf, und führte ihr Töchterlein an der Hand. Als sie fast oben war, sah sie im Berg eine bis dahin nie gesehene Thür, welche in eine Höhle führte, worin sieben greise Männer mit langen Bärten an einem Tisch saszen; übrigens war die Höhle ganz voll Gold und Silber. Die Frau trat kühn ein, leerte ohne Weiteres ihren Korb und füllte ihn mit den Schätzen. Als sie wieder heraustreten wollte, sprach einer der Männer: "Frau vergeszt das Beste nicht!" Sie hörte aber nicht darauf und ging; als sie kaum vor der Thür war, da schlosz sich der Berg wieder unter gewaltigem Krachen und schlosz das Kind mit ein, welches mit dem rothen Gold spielend, nicht gesehn hatte, dasz die Mutter fortging. Da war die Sorge und Angst der Mutter grosz. Sie lief jammernd zu einem Geistlichen und erzählte demselben die ganze Sache. Der aber sprach zu ihr, dasz sie ihr Kind nicht vor sieben Jahren wiederbekomme; dann solle sie um dieselbe Stunde auf den Berg gehn. Sie habe aber Unrecht daran gethan, den Korb ganz auszuleeren, denn unter dem Gras habe sich auch das Kraut gefunden, welches ihr die Bergeshöhle erschlossen habe. Nach sieben Jahren ging die Frau auf den Berg und siehe, da sasz ihr Kind oben und schlief und war noch eben so jung und blühend und frisch, als sie es verlassen hatte. Von der Thür und der Höhle aber war keine Spur mehr zu finden.


Quelle: Hessische Sagen, J. W. Wolf, Leipzig 1853, Nr. 2, S. 2