Der Teufelskadrich
Eine alte Sage
Zwischen Lorch am Rhein und Assmannshausen liegt ein steiler Abhang,
der Teufelskadrich, über den folgende Sage besteht:
Bei dem Ritter Sibo von Lorch klopfte einmal ein kleines graues Männlein
an und bat um Nachtherberge. Der Ritter wies ihn aber schnöde ab.
"Das will ich dir heimzahlen", brummte das Männlein in
den Bart und verschwand. Am anderen Tag war Garlinde, des Ritters 12jähriges
Töchterlein, verschwunden. Man suchte vergebens nach ihr. Da meldete
ein Hirtenknabe, Garlinde sei beim Blumen pflücken von einem kleinen
grauen Männchen ergriffen worden. "Die Berggeister haben sie
entführt", meinte der Knabe. Es war auch wirklich wahr. Beim
Nachforschen sah man das arme Kind auf dem Gipfel des Kadrich, auf dem
die Berggeister hausten.
Ritter Sibo bot alles auf, sein Töchterchen zu befreien, aber selbst
monatelange Bemühungen waren umsonst. Keinem seiner Leute, auch ihm
selbst gelang es nicht, den steilen Kadrich zu besteigen. Alle mußten
vor dem Steinregen, der bei jedem Versuch von oben herabkam flüchtig
gehen, um nicht zu Tode getroffen zu werden. Da ging der Ritter in sich,
da er sich sagte, da? Er durch seine Lieblosigkeit an dem Verlust seines
Kindes selbst schuld war. Er ward mildtätig gegen die Armen und fromm
wie Einer. Aber es half nichts. Garlinde kam nicht wieder. So vergingen
einige Jahre.
Da kam ein junger Ritter Namens Rudhelm aus dem Kriege zurück und
erbot sich Garlinde zu befreien. Aber auch er mußte vor dem Steinregen
flüchtig gehen. Als er verzagt am Fuße des Kadrich stand, zupfte
ihn ein kleines graues Weiblein am Arm. Es gab ihm ein silbernes Glöcklein
und sagte: Klingle mit dem Glöcklein dreimal am Krutzstein
im Wispertal. Dann erscheint mein Bruder, bitte ihn das er dir helfe.
Das tat der junge Ritter noch am selben Tag und siehe da: Auf sein Läuten
tat sich ein Spalt im Berge auf und ein graues Zwerglein erschien. Das
Zwerglein zupfte auf das Anliegen des jungen Ritters erst nachdenklich
an seinem langen grauen Bart und sagte: "Der Teufel wohnt im Kadrich
Berg und die Berggeister sind in seiner Gewalt. Doch ich kann dir helfen."
Er bestellte den Ritter auf den anderen Morgen an den Fuß des Kadrich.
Mit Tagesgrauen stand Rudhelm schon da und sah Hunderte von Zwerglein
auf dem Abhang. Sie hatten die ganze Nacht tüchtig geschafft. Alle
losen Steine waren weg und in die Felswände waren Stufen gehauen,
die himmelhoch bis auf die Spitze des Kadrich gingen. "Dem dummen
Teufel haben wir mit den Steinen den Ausgang aus dem Berg verstopft und
unsere Brüder haben wir aus seiner Gewalt befreit", sagte das
schlaue Bergmännlein. Da stieg Rudhelm flink die Stufen hinauf und
bald sah er auf dem Gipfel einen wilden Rosenbusch, in dessen Schatten
Garlinde ruhig schlummerte. Dabei stand das graue Weiblein und Garlinde
erwachte. Wie groß war ihre Freude, daß sie nun endlich befreit
war und dazu auch noch von einem so glänzenden Ritter, wie Rudhelm.
Auch die befreiten Bergmännlein hatten tüchtige Arbeit geschafft.
Sie hatten durch das Dickicht auf der Höhe einen Gang gehauen, so
daß Rudhelm mit Garlinde und alle Bergmännlein viel bequemer
in die Freiheit zurückkehren konnten, als den steilen Kadrich herunter.
Als sie auf einen Weg kamen und nach Lorch nicht mehr irregehen konnten,
waren plötzlich alle Bergmännlein verschwunden. Wo sie hinkamen,
weiß man nicht. Da war die Freude groß bei Sibo von Lorch,
als er sein einziges Kind wieder hatte. Aber er hatte es nicht mehr lange,
dafür aber, bis er im hohen Alter starb, eine stattliche Enkelschar
von dem glücklichen Paar Rudhelm und Garlinde. Und der Teufel im
Kadrichberg? Er wird wohl elend verhungert sein, wenn ihn ein anderer
Teufel nicht geholt hat. Niemand hat noch etwas von ihm gehört. Nur
sein Name ist verblieben, denn noch heute wird der Berg mit seinen steilen
Geröllhalden der "Teufelskadrich" genannt
Quelle: Chronik "Lorch im Rheingau" von Franz Carl Altenkirch 1926