172. Der Gollen auf Usedom.

Auf der Insel Usedom, nicht weit von dem Dorfe Caminke am Haff liegt ein Berg, der Gollen oder Gollenberg geheißen, der in ganz Pommern wegen der schönen Aussicht bekannt ist, die man auf seiner Spitze hat. Der ist auf folgende Weise entstanden: In alten Zeiten lebte auf der Insel Usedom ein Fürst, der nur eine einzige Tochter und viele Schätze hatte. Er war sehr geizig, und wollte daher, um von den Schätzen nichts zu missen, bei seinen Lebzeiten die Prinzessin nicht verheirathen, wies vielmehr alle Freier zurück. Als er nun aber endlich starb, da war die Prinzessin schon in die Jahre gekommen, und eben so häßlich geworden, wie sie früher schön gewesen war. Deshalb wartete sie auch vergebens, daß sich noch ein Freier melden werde. Zuletzt erschien indeß ein mächtiger Zauberer, der wollte sie freien. Aber weil er grundhäßlich war, so gab sie ihm einen Korb. Darüber ergrimmte der Zauberer, und er verwandelte das Schloß, in welchem sie wohnte, in einen Berg, und bannte sie mit ihren Schätzen auf ewige Zeiten in denselben. Dabei sprach er die Worte:

Do ligt dat Gollen (Gold),
Schall mi wol över hollen,
Bet stumm'n betern Frieger kümmt
Ub'n Hansdag, 'n rein Sundagskind!

Der Berg, der also entstanden war, erhielt von da an den Namen, den er noch führt, und die verwünschte Prinzessin muß seitdem im Innern desselben bei ihren Schätzen sitzen und die hüten. Alle Jahre auf den Johannistag kommt sie heraus, um zu sehen, ob der stumme Freier, das reine Sonntagskind, sie noch nicht freien und erlösen will.

Zuletzt hat man sie noch im Jahre 1822 gesehen. Am Johannistage solchen Jahres spielten einige Kinder aus dem benachbarten Dorfe am Gollenberge, als sie auf einmal von diesem herabkam, und auf die Kinder zuging. Die Kinder liefen aber schreiend davon. Da sah man sie langsam und trauernd zurückkehren.

Acten der Pomm. Gesellschaft für Geschichte.

Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 172