DIE BULLENKUHLE BEI BOKEL
In der Nähe des schönen Heidedorfes Bokel, unweit des Bauernhofs Günne, schimmert ein winziger See, umstanden von feierlichen Wacholdern und freundlichen Birken. Eigentlich ist es nur ein Kolk, ein Wasserloch, dessen blankes Wasser an dieser Stelle sichtbar ist, während es sich unter Moos und Wasserpflanzen wohl noch etwa 3/4 Morgen hinzieht. Unergründlich ist dieses dunkle Gewässer, das so still und anmutig unter dem blauen Sommerhimmel blinkt; und selbst an Tagen großer Trockenheit und Dürre sah man seinen Wasserstand nie absinken.

Eine alte Sage spinnt sich um die Gegend hier und um das Wasser, das die "Bullenkuhle" heißt. Von seltsamem Reiz und einem fast unheimlichen Zauber ist es, die Geschichte zu hören, wenn sich der halbe Mond in der blanken Fläche spiegelt und fern im Fuhrenkamp die seltsame Nachtschwalbe ihr geisterhaftes Lied singt.

Ein schönes, großes Bauernhaus soll früher dort gestanden haben, wo heute das kalte Wasser quillt; und der Hofherr soll ein leidenschaftlicher Jäger gewesen sein. Um einen großen Hirsch, der auf den Feldern bereits viel Schaden angerichtet hatte, zu erlegen, soll er einmal wochenlang unterwegs gewesen sein, ohne ihn jedoch zu erlegen. Am Morgen nach dem heftigen Gewitter habe er vor Familie und Gesinde dann plötzlich geäußert: "Wenn ick hüte keinen Hirsch scheite (schieße), schall min Hus un Hoff unnergahn!", um darauf mit seinem Hund Donn, Pulverhorn und Bleibeutel davonzugehen. Diesmal schien ihm das Jagdglück hold zu sein: Ein prächtiger Hirsch von 16 Enden tauchte vor ihm auf, ein Hirsch, der sich in einer hohlen Eiche verborgen hielt. Der Wind stand gut. Der Hirsch hielt den Wechsel und mußte kommen. Der Kapitale zog vertraut näher, schon lag das Pulver auf der Pfanne, da - küselte der Wind, der Hirsch machte kehrt und verschwand in rasenden Fluchten!

Fluchend sei der Jäger dann heimgegangen; und als er sein Haus betrat, soll dieses samt allem, was zum Hof gehörte, in die Erde gesunken sein. Einzig ein Bulle, so heißt es, sei ausgebrochen und bei Tage in Bokel und Günne herumgelaufen, um dann aber abends in der Bullenkuhle zu verschwinden. Als aber einmal ein alter Schäfer aus Günne seinen Hund auf ihn gehetzt habe, sei der Bulle zum Angriff auf den Schäfer übergegangen, so daß dieser in Todesangst. "Maria und Joseph!" geschrieen habe. Darauf sei der Bulle verschwunden, und niemand mehr habe ihn von diesem Tage an gesehen.

Zum Dank für seine Errettung aber schnitzte der Schäfer eine schwere, eichene Tür, die er der Kapelle zu Bokel stiftete, wo sie noch heute zu sehen ist.


Quelle: Helga Fischer-Wahrenholz: Die Bullenkuhle bei Bokel. In: Der Heidebote, Nr. 15 vom 22. Juli 1949, S.16.
Die Sagen der Lüneburger Heide wurden von
Etta Bengen gesammelt und für SAGEN.at zur Verfügung gestellt.
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