Die Visbecker Braut
Zu Großen-Kneten lebte ein reicher Bauer, der hatte eine einzige
Tochter, namens Gretchen. Schon lange liebte sie Konrad, den Sohn ihres
Nachbarn, der mit ihr aufgewachsen war, und sie hofften beide, ein Paar
zu werden. Gretchens Vater aber wollte nichts davon wissen; denn der Hof
von Konrads Eltern war sehr verschuldet.
Eines Tages kam der Sohn eines reichen Bauern aus Visbeck, namens This
Jörgen, und hielt um Gretchens Hand an. Ohne die Tochter zu befragen,
wurde sie ihm vom Vater zugesprochen. Gretchen weinte und flehte, man
möge ihr doch den groben und stolzen Jörgen nicht aufdrängen;
sie liebe ja Konrad, und keinen andern wolle sie heiraten. Aber der Vater
ließ sich nicht irremachen; er bestimmte mit dem reichen Schwiegersohn
den Tag der Hochzeit, ohne sich um die Tränen der Tochter zu kümmern.
Endlich war der für Gretchen so unglückliche Tag gekommen. Die
Braut wurde aufs schönste geschmückt, und schon versammelten
sich die Hochzeitsgäste, um sie gen Visbeck zu führen. Gretchen
wankte in ihrer Mitte dahin, als ging's zum Tode. Ihr einziger Wunsch
war, lieber zu sterben, als dem ungeliebten Manne anzugehören.
Als der Hochzeitszug mitten auf der Heide angelangt war, stürzte
plötzlich ein Jüngling atemlos daher und warf sich der Braut
in die Arme. Es war Konrad, ihr treuer Geliebter, der ebenfalls ohne Gretchen
nicht leben zu können glaubte. Alle blieben entsetzt stehen. Gretchens
Vater aber ward zornig und wollte den unwillkommenen Störer davonjagen.
Doch die beiden Liebenden umschlangen sich fest und sprachen: Wenn Menschen
kein Erbarmen mit uns haben, so möge Gott uns lieber zusammen in
Steine verwandeln!"
Die Visbecker Braut
Blick auf die Grabkammer und die Wächtersteine
© Dipl. Geogr. Nicolaus Behrmann
Und siehe, in demselben Augenblick erstarrten beide, so wie sie sich innig umschlungen hielten, zu Stein und bildeten eine einzige fest verbundene Steinmasse. Der hartherzige Vater und das ganze Hochzeitsgefolge stürzten vor Schrecken nieder auf die Knie, und sie wurden ebenfalls zu Steinen. Auch dem Visbecker Bräutigam, der ihnen mit seinem Gefolge entgegenzog, widerfuhr in demselben Augenblick das gleiche Schicksal. Beide Steinreihen stehen noch heute auf der Heide bei Visbeck als ein warnendes Beispiel für hartherzige Eltern.
Quelle: Karl Henniger und Johann von Harten: Niedersachsens
Sagenborn, Bd. 2, Hildesheim 1987, S. 209 - 211, zitiert nach: Carl-Heinrich
Nieberding und Amalie Schoppe: Sagenbibliothek, Leipzig 1886.
Die Sagen der Lüneburger Heide wurden
von Etta
Bengen gesammelt und für SAGEN.at zur Verfügung gestellt.
© der Zusammenstellung: Etta
Bengen