Der Zwergenraub bei Loitze

Mehrere Heidberge befinden sich im südöstlichen Teil der Feldmark Loitze. Der höchste von ihnen führt seit Menschengedenken den Namen "Unnererdschenberg". Hier soll die Heimat der kleinen Zwerge, der Unnererdschen, gewesen sein. Von der höchsten Spitze der Südseite des Berges bis hinunter zum Fuße führt ein breiter Sandsteig. Auch dieser Weg ist unter dem Namen "Unnererdschensteig" bekannt. In dunkler Nacht sollen die fleißigen kleinen Wichte auf diesem Wege hin- und hergelaufen sein, um von dem vorbeifließenden Mühlenbach das Wasser zu schöpfen und hinunterzutragen.

Auch der Bauer Philipp aus Loitze hatte von dem munteren Treiben der flinken Kleinen gehört. Er beobachtete alles genau, und ihm kam eine Idee. Zu seinem Knecht Johann sagte er: "Wat meenst du, wulln wi uns nich een dorvon holn?" (Übersetzung: Was meinst du, wollen wir uns nicht einen davon holen?")

Johann war gleich bereit mitzumachen und folgte dem Bauern bis an die Stelle, an der das Zwergenvolk den Eingang in den Berg hatte. Einen Augenblick legten sie sich doch noch beobachtend im Versteck auf die Lauer. "So, nu los!" rief der Bauer, als am Eingangsloch gerade alles still war.

Wie vereinbart, band ihm der Knecht einen langen Strick fest um den Bauch zur Absicherung und ließ ihn dann hinunter in die Zwergenhöhle. Das war eine Aufregung und ein Rennen und Flüchten da unten. Aber es half nichts, der starke Bauer faßte sich doch einen der Unnererdschen und ließ sich mit ihm zusammen von dem Knecht wieder nach oben an das Tageslicht ziehen. Zunächst hatte der Kleine eine Heidenangst, aber dann gab er sich zufrieden in seinem neuen ungewohnten Lebensumkreis auf dem Bauernhof. Die Bauernkinder freuten sich über den neuen Gesellen, und sie spielten fröhlich miteinander.

Doch nach einigen Tagen war der Wicht plötzlich wieder verschwunden. Den Bauersleuten und ihren Kindern war das gar nicht recht. Sie beschlossen, noch einmal zum Berg zu gehen und gleich zwei Zwerge zu sich heraufzuholen aus der großen Schar der Kleinen.

Nun war der Knecht aber auch neugierig und wollte einmal einen Blick in die Zwergenhöhle werfen. So ging die Aktion diesmal umgekehrt vonstatten. Der Bauer blieb oben, und Johann ließ sich an dem langen Strick herunter lassen in die Wohnung der Unnererdschen.

Doch so stark der Bauer auch zog, er konnte seinen Knecht nicht wieder aus der Höhle befreien. Zuletzt glitt ihm der Strick aus den Händen, und Johann ist nie wieder zum Vorschein gekommen.

Aber es gab noch mehr Veränderungen: In der Oliver Feldmark hat man seit dieser Zeit von dem emsigen Zwergenvolk rein gar nichts mehr gehört und gesehen, soviel man sich auch bemühte. Der große platte Zwergenstein aber liegt noch immer an der Stelle, an der der Eingang in den Berg gewesen sein soll.


Quelle: Hannelore Hilmer: Die schönsten Sagen und Geschichten des Hannoverschen Wendlandes. Lüchow 1996, S.111-112.
Die Sagen der Lüneburger Heide wurden von Etta Bengen gesammelt und für SAGEN.at zur Verfügung gestellt.
© der Zusammenstellung: Etta Bengen