Die Zwerge im Schalks- und im Wohldenberge.

Mündlich in Ettenbüttel, Gilde und Leiferde.

Der Schalksberg zwischen Ettenbüttel und Wilsche, nahe bei Gilde an der Aller, ist jetzt ein kleiner Maulwurfshügel; früher aber war er ein hoher und schlanker Berg, in welchem das Volk der Zwerge hauste. Damals lebte hier noch kein Mensch, und das gefiel den Zwergen; denn nun konnten sie ihr Wesen ungestört treiben und über oder unter der Erde verweilen, wie's ihnen eben behagte. Und sie ließen sich's gar wohl sein, hatten alle Tage Sonntag und mitten in der Woche Festtag, aßen und tranken, spielten und tanzten; zu Zeiten indessen schmiedeten sie auch, und noch jetzt finden sich häufig Schlacken von Steinkohlen, die sie dabei verbraucht haben. Als der erste Hirt in diese Gegend kam, fand er rings um den Berg nichts als Erbsenfelder, und von innen ertönte unausgesetzt die lieblichste Musik; wenn jedoch seine Schafe den Erbsenfeldern nahe kamen, fuhren sie jedesmal zusammen, als wenn sie insgeheim gezwickt würden, und auch der Hund fieng mehrmals zu schreien an und wollte nicht wieder in die Nähe. Es zogen aber immer mehr Menschen hieher, legten Dörfer an und trieben ihre Hantierung; dabei kamen sie denn mit den Zwergen sehr häufig in Berührung, die bald freundlich, bald feindlich war, wie sich's eben machte. Vorzüglich grollten die Unterirdischen über das laute Treiben der Menschen, und diese hinwider über die vielen Diebstähle, die von jenen verübt wurden, so daß es an Neckereien und ernsteren Feindseligkeiten nicht fehlte. Doch oftmals leisteten sie einander auch hülfreiche Hand, und wo die Menschen gefällig gegen die Zwerge waren, zahlten's diese mit rothem Golde. So war einmal eine arme fromme Dienstmagd mit der Reinigung des Hauses beschäftigt; als sie den Kehricht auf den Schutthaufen werfen wollte, fand sie in der Schaufel einen feinen Brief, der an sie gerichtet war. Sie stellte den Besen an die Wand und las; und in dem Briefe wurde sie aufgefordert, daß sie doch morgen bei einem Zwergkinde Gevatter stehen möge; es solle ihr Schade nicht sein. Sie wollte es nicht gern thun, die Herrschaft aber erwiderte, sie dürfe es nicht abschlagen, denn sonst gehe es ihr nicht gut. So gieng sie des Nachts hin, denn auf die Zeit war sie bestellt; um zwölf öffnete sich der Berg, und so beklommen sie gewesen war, so vergnügt wurde sie nun; denn da unten war's gar prächtig, alles war eitel Gold, und alle waren freundlich und gefällig gegen sie. Als sie dem Kinde einen Namen gegeben hatten, legten sie's in eine goldene Wiege, und die Spielleute mußten so lange blasen, bis es wieder eingeschlafen war; alsdann wurde aufs schönste gegeßen und getrunken und hierauf bis an den Morgen auf einer großen Wiese gesungen und getanzt. Als sie müde waren, wollte das Mädchen wieder nach Hause; die Zwerge indes baten so lange, bis sie einwilligte, noch drei Tage dazubleiben, und alle drei Tage war lauter Lust und Freude. Als sie endlich heimgieng, beschenkten die Zwerge sie aufs reichste und sagten, die goldene Wiege solle ihr für ewige Zeiten aufbewahrt bleiben; nun öffneten sie den Berg und entließen sie. Die Magd gieng nach Hause, nahm den Besen von der Wand, um aufs neue die Diele zu fegen. Aber siehe! das Haus war ganz anders worden während der drei Tage, die Diele war ganz anders, die Kühe hatten andere Stimme und andere Farbe, auch ihr guter Schimmel war fort, und als die Menschen kamen, kannte sie keinen, alle hatten andere Sprache und andere Moden, und auch von ihr wußte niemand; sie erzählte der Herrschaft alle Umstände, aber niemand erinnerte sich derselben, und alle staunten sie an. Nun lebte in Gilde ein alter Schäfer, der selber nicht wußte, wie alt er war, und kein Mensch wußte es; als der von dem Mädchen hörte, kam er herüber und sagte aus, sein Großvater habe ihm erzählt, daß zur Zeit, als dessen Vater klein gewesen, ein Mädchen zu den Zwergen gegangen und nicht heimgekehrt sei; "es müßen etwa dreihundert Jahre sein", schloß er. In dem Augenblick war das Mädchen ein steinaltes Mütterchen geworden, fiel um und war todt. Der Schalksberg ist jetzt fast ganz zerstört, die Zwerge sind fortgezogen; aber die Wiege haben sie mit Gold angefüllt zurückgelaßen. Schon viele haben nach ihr gesucht und gegraben, keiner hat sie gefunden; einst jedoch wird ein Schweinehirt, der letzte Verwandte der Magd, des Weges mit seiner Heerde treiben, eine Sau wird die Wiege auswühlen, und der Hirt wird für einen Theil des Goldes in Ettenbüttel eine Kirche mit einem Thurme bauen laßen, der größer sein wird als der Andreasthurm in Braunschweig, nämlich gerade so hoch, als der Schalksberg früher gewesen ist; die goldene Wiege wird er dem Könige schenken und mit dem übrigen Gelde gemächlich leben bis an seinen Tod.

Daß aber die Zwerge ausgezogen sind, hat seinen Grund im folgenden. In der Heide umher wohnten viele Riesen, und wenn diese sich schon mit den Menschen nicht gut stallen konnten, so lebten sie mit den Zwergen erst recht wie Katze und Hund. Einst hatten die Zwerge einen schlafenden Riesen geneckt und ihm in jedes Nasloch einen großen Stein gesteckt. Als er davon erwachte, sah er eben noch, wie die Männchen in den Schalksberg schlüpften. Eins, zwei, drei war er dort, konnte aber nicht hinein, weil er zu groß war. Da blies er die Steine gegen den Berg, daß derselbe zerbrach und weit umherstob, und fortwährend blies der Riese, bis der Berg verwehet war, und würde alle Zwerge vernichtet haben, wenn nicht ein Gewitter gekommen wäre und ihn getödtet hätte. In der nächsten Nacht kam ein graues Männchen zu einem Fischer, der an der Aller wohnte und eben seine Netze ausgespannt hatte, und fragte ihn, ob er in der folgenden Nacht wohl mit seinem Kahne dicht beim Schalksberge über den Fluß hin- und herfahren wolle; es solle sein Schade nicht sein. Der Fischer verwunderte sich zwar über das Ansinnen, willigte aber doch endlich ein und war in der nächsten Nacht mit seinem Kahne am Schalksberge. Das graue Männchen war schon dort, sprang in den Kahn, und mit ihm huschte es vom Ufer ins Fahrzeug, bis dasselbe fast sinken wollte. Da mußte der Schiffer überfahren und gleich wieder leer zurück; so gieng es bis zur Morgendämmerung: der Kahn war hinüber stets voll bis zum Sinken, und der Fischer sah doch nichts als das eine graue Männchen; nur hörte er hüben und drüben und neben sich ein leises Gesumme und Gepluster. Als eben die Sonne aufgehen wollte, sprach das Männchen, welches der Zwergkönig selber war: "Jetzt ist's genug; dein Lohn liegt im Kahne. Willst du nun wißen, was du übergefahren hast, so sieh über meine linke Schulter." Der Fischer that es und erblickte die große Wiese ganz voll kleiner Kerlchen, welche mit allerhand beladen waren und die Richtung nach dem Wohldenberge eingeschlagen hatten, der etwa zwei Stunden von dort entfernt ist. Als jetzt die Sonne aufgieng, sah der Fischer plötzlich nichts mehr; die Zwerge waren weg, und ihr König war auch verschwunden. Als jener in seinen Kahn stieg, lag in der einen Ecke ein großer Haufen Rossäpfel; erzürnt über das schnöde Fährgeld, warf er sie in die Aller und erzählte seiner Frau die ganze Geschichte. Diese aber, klüger als er, antwortete: "Die hättest du nicht wegwerfen sollen! das ist alles Gold gewesen!" Schnell giengen sie nach dem Kahne, und richtig! was noch da war, waren lauter blanke Goldstücke, und sie sammelten deren noch immerhin so viele, daß sein dreieckiger Hut bis oben voll wurde; von den weggeworfenen fanden sich nachher einige im Netze, und sie waren, wofür der Schiffer sie alle im Kahne gehalten hatte.

Von der Zeit an lebten nun die Zwerge im Wohldenberge. Dieser Hügel in einer nach Norden und Osten hin fast endlosen Ebene liegt zwischen Leiferde und Dalldorf, hart am Wege vom ersteren Dorfe nach Meinersen, und beherrscht, obgleich er winzig genug ist, die ganze Umgegend. Diese ist eben so unfruchtbar wie er selber: von Westen und Norden her begrenzen ihn Sandflächen, auf denen es fast nur Heidekraut und verkrüppelte Fichten und Wacholder giebt; nach Süden und Osten hin befinden sich freilich Felder, sie tragen indes mehr feuerfarbenen Klatschmohn als nährendes Getreide; den Fuß des Hügels selber umgiebt ein Kranz von Birken und Fichten nebst einigen knorrigen Eichen, und der Gipfel trägt Heide, Ginster und niedriges Gestrüpp. Ebenso traurig sah es auch vor der Ankunft der Zwerge hier aus, ja noch trauriger, weil die Gegend auch noch nicht von Menschen bewohnt, und deshalb nirgends ein Fruchtfeld zu sehen war. Das sollte anders werden! Die Zwerge nämlich leiteten von der Ocker Waßeradern unterhalb der Erde hieher; eine derselben fließt noch heute und heißt der "Twargborn", die übrigen haben sie vor ihrem Abzuge verstopft. Dazu erwärmten ihre unterirdischen Feuer den Boden, und diese Wärme in Verbindung mit jener Feuchtigkeit machte die Erde äußerst fruchtbar. Das sah zuerst ein Jägersmann, der sich hieher verirrt hatte, und als die Kunde davon sich verbreitete, zogen sich die Hirten und Ackerbauer in die Gegend und wurden hier ansäßig. Von jener ersten Zeit spricht man noch jetzt mit großer Begeisterung: die Saaten standen so dicht und kräftig, "daß man ein Wagenrad daran aufwälzen konnte"; die Wiesen und Weiden fanden nirgends ihres Gleichen; die halbverwitterten Eichen sollen noch aus jener Zeit stammen, und die ganze Gegend war ein wahres Paradies. Und lange lebten Menschen und Zwerge im Frieden bei einander, standen einander in allen Nöthen treulich bei, liehen sich gegenseitig Geräth, und die einen luden die anderen zu Festlichkeiten und Schmausereien. Besonders gut standen sich die Landbebauer dabei: hatten sie morgens einige Stunden geackert, so stand das Frühstück in einem Henkeltopfe bereit; mittags schaffte eine unsichtbare Hand abermals eine Mahlzeit, und zerbrach ein Spaten oder ein anderes Ackerwerkzeug, so beßerten die Zwerge es sofort aus, ohne sich's bezahlen zu laßen. Dazu bewahrten sie diese Gegend auch vor Überschwemmung und Hagelschlag, und beim Einheimsen waren sie gleichfalls unermüdet geschäftig, so daß die Arbeiter oft, wenn sie sich zur Mittagszeit in den Schatten gelegt hatten, nachher nichts mehr zu thun fanden. Für alles dieß hatten sie nur die eine Bitte, die sie aber immer dringend wiederholten, man möge in der Nähe des Berges ruhig sein, nicht mit Peitschen knallen und nicht laut kreischen; die Menschen erfüllten diese Bitte lange Zeit sehr gewißenhaft, und so gieng's in Freude und Frieden viele Jahre.

Da begab sich's, daß die Leute in Leiferde eine große Glocke auf ihren neuen Kirchthurm brachten, und das war der erste Stein des Anstoßes; denn die Zwerge konnten das Geläute nicht vertragen und mußten sich stets die Ohren zuhalten. Erst baten sie, man möge die Glocke ruhen laßen; als dennoch geläutet wurde, rückten sie in Masse gegen die Kirche und warfen mit Steinen hinauf, um die Glocke herunter- oder den Thurm einzuwerfen. Auch das gelang ihnen nicht; und nun begannen die Plackereien: sie verwirrten das Getreide und traten es nieder, machten die Pferde und die weidenden Heerden flüchtig, verstopften die Brunnen, erschreckten die Wanderer, die Frauen und die Kinder; vorzüglich aber stahlen sie alles, was sie nur brauchen konnten, und sogar kleine Kinder. Die Menschen ließen's ihrerseits auch nicht an Neckereien fehlen: wenn z.B. im Berge gespielt und getanzt wurde, schlichen sich die Burschen hinzu und knallten plötzlich dermaßen mit ihren Peitschen, daß den Zwergen Hören und Sehen vergieng, und sie heulend aus einander stoben; wenn jene einen derselben einfiengen, trieben sie Kurzweil mit ihm, daß der arme Schelm vor Angst nicht zu bleiben wußte. Oft indes gieng's wieder friedlicher her; kurz, es wurde ein Verhältnis, wie's im Schalksberge stattgefunden hatte, bald feindlich und bald freundlich. Doch es sollte schlimmer kommen!

Der reichste Bauer in Leiferde hatte nach und nach alle Länderei um den Wohldenberg an sich zu bringen gewußt und war sehr glücklich darüber, weil dort, wo jetzt gar nichts wächst, damals alles am besten wuchs. Er selber lebte friedlich mit den Zwergen, da er einsah, wie gut er sich dabei stand. Nun hatte er aber einen einzigen Sohn, das war ein roher Gesell; nachdem dieser herangewachsen war, brachte er den alten Vater durch Kummer unter die Erde und war nun selber Herr. Es dauerte nicht so lange, da hatte er sich mit allen Menschen entzweiet; denn er war ebenso ungefällig als hochmüthig, und wenn er sich einen neuen Feind erworben hatte, spottete er seiner und zugleich aller anderen Menschen, ja Gottes selber und pochte auf seine "Lehnsleute", die Zwerge. Doch einen Zwerg kann man sich noch leichter entfremden als einen Menschen, und wäre es der krausköpfigste; das sollte auch der unnütze Bauer nur zu bald und zu seinem großen Schaden erfahren. Eines Tages ackerte er am Berge, und die Zwerge brachten ihm wie gewöhnlich ein tüchtiges Morgenbrod. Als er den ersten Bißen genoßen hatte, schien es ihm zu schlecht; er schüttete es deshalb auf die Erde und rief: "Habt ihr mir Schweinefutter gebracht, will ich euch wieder Schweinefutter schenken! Bringt mir beßeres Eßen, ihr Halunken!" und dabei knallte er mit der Peitsche, daß es den ganzen Berg durchpfiff. Als die Zwerge den Topf nicht wieder füllten, verunreinigte er denselben auf unanständige Weise und knallte und schimpfte noch wilder als zuvor. Davon wurden die Pferde wild, und als er den Zügel ergriff, um sie durchs Gebiß zu bändigen, wurde ihm der Strang vor den Händen abgeschnitten, und die Pferde liefen in alle Welt; und das hatten die erbosten Zwerge gethan. Als auch des Mittags und am andern Morgen keine Speise erschien, wurde er gar fuchswild und schrie: "Bringt mir mein Eßen, ihr krummbeinigen und dickköpfigen Hunde, und bringt mir leckeres, oder euch soll alle der Teufel holen! Kann's von euch verlangen; denn ihr seid meine Lehnsleute, und ich laße euch nur aus Vergunst da in eurem Erdklumpen wühlen!" Es kam indes kein Eßen, und als er sich müde geeifert hatte und sich unter einen Busch legte, krochen zahllose "Migöntjen" (rothe Ameisen) herzu, zerstachen ihn am ganzen Leib und Leben und krochen ihm sogar in Nase und Mund; und das hatten die erbosten Zwerge gethan. Am dritten Morgen nahm der Bauer seine Gänseklapper und begab sich mit zwei Tagelöhnern in aller Frühe an den Wohldenberg. Als auf sein Befehlen und Drohen wieder keine Speise erschien, umzogen die drei den ganzen Berg, der eine pfiff auf dem Finger, so grell er nur vermochte, der andere knallte aus Leibeskräften mit der großen Peitsche, und der dritte klapperte dazu so eiferig, daß ein wahrer Höllenlärm wurde. Die Zwerge drinnen im Berge wußten nicht zu bleiben vor dem entsetzlichen Getöse; keiner indes kam zum Vorschein von ihnen: sie hatten einen andern Racheplan erdacht. Des Nachts erhob sich ein fürchterliches Gewitter, und am andern Morgen wunderte sich das Gesinde, daß der Bauer gar nicht aufstand; sie begaben sich endlich in seine Kammer, und siehe! er lag wie todt im Bette. Nachdem sie ihn durch Rütteln und Reiben wieder zu sich gebracht hatten, erzählte er denn, wie er des Nachts aufgewacht sei und sich nicht habe rühren noch regen können; "alle Glieder waren mir gelähmt, und mit Entsetzen fühlte ich, wie unausgesetzt dicke kalte Kröten durch mein Gesicht und über meinen Leib krochen." Während er noch erzählte, kam die Magd herein und berichtete, daß auch die meisten Thiere gelähmt und geblendet seien, und der Feldhüter trat ein und fügte hinzu: "Alle deine Felder sind während der Nachtzeit zertreten und verheert, die Quellen verstopft und unsichtbar geworden, und der ganze Wohldenberg ist verödet." Jeder rieth gleich auf die Zwerge; und sie hatten's auch gethan. Doch hiebei hatten sie es keineswegs bewenden laßen.

In dem benachbarten Dorfe Volkse am Ufer der Ocker, unfern der Stelle, wo man sich in Ermangelung einer Brücke noch jetzt muß übersetzen laßen, wohnte dazumal ein Fischer, der seinen geräumigen Kahn nicht nur zum Fischfang, sondern vornehmlich auch dazu benutzte, gegen Erlegung eines Fährgeldes Wanderer über den Fluß zu fahren. Zu dem kam um die Mittagsstunde des Tages, an welchem der Bauer den fürchterlichen Lärm gemacht hatte, ein graues Männchen und sprach traurig zu ihm: "Willst du mir nicht auf diese Nacht deinen Kahn borgen?" "Warum nicht?" erwiderte der Fischer; "wenn du gut bezahlst und ihn ehrlich wiederbringst!" Das Männchen versprach es, füllte dem Fischer einen Napf mit Gold an und sagte: "Schau aber nicht aus nach uns; sonst geht's nicht gut!" Damit war es weg. - Mit der Nacht kam ein so starkes Gewitter, wie die Leute sich keines zweiten zu erinnern wußten: der ganze Himmel schien fortwährend zu brennen, und der Sturm wehte mit schrankenloser Macht. Der ehrliche Fischer hörte nicht auf zu beten und schloß auch das graue Männchen mit in sein Gebet. "Wenn sich's nur nicht auf den Fluß gewagt hat!" meinte er, vergaß seines Versprechens und schaute durch ein Astloch, daß sich zufällig in einem Ständer befand, nach der Ocker aus. Hilf Himmel, was mußte er da sehen! Mitten durch die schäumenden Wogen fuhr sein Kahn, zahllose Zwerge saßen in ihm, und an beiden Ufern wimmelte es von grauen Männchen. Das alles sah er beim Schein eines schrecklichen Blitzes; mehr jedoch sah er nicht: derselbe Blitz fiel dicht neben ihm nieder, ein gewaltiger Donnerschlag betäubte ihn für die ganze Nacht, und als er wieder ins Bewußtsein zurückkehrte, stand die Sonne hoch am klaren Himmel, der Fluß lag ruhig da, und sein Kahn auch. Hier entdeckte er keine Spur des nächtlichen Unwetters, und nur das schöne rothe Gold überzeugte ihn, daß es nicht etwa ein Traum gewesen sei; noch mehr aber bezeugte ihm draußen ein einziger Blick auf den nahen Wohldenberg die traurige Geschichte: alle Eichen waren zerschmettert, alle freundlichen Anlagen vernichtet, und die ganze Umgebung lag so öde da, wie sie's noch jetzt ist. Ein einziger Weg an der Westseite war der Zerstörung entgangen, und er heißt der "Twargstieg" bis auf den heutigen Tag; eine einzige Quelle war unverstopft geblieben, die, wie schon bemerkt, noch jetzt der "Twargborn" genannt wird und auf viele Meilen im Umkreise das beste Waßer haben soll. Die Zwerge waren verschwunden, niemand weiß, wohin, und nimmer kehren sie wieder. - Nach einem andern Erzähler soll der Bauer am Morgen nach der Gewitternacht vom Blitz erschlagen auf dem Acker gefunden worden sein, der Henkeltopf zerbrochen neben ihm.

Quelle: Märchen und Sagen aus Hannover, Carl und Theodor Colshorn, Hannover 1854, Nr. 36, S. 114 - 123.