Umrittener Wald

Nicht gar weit von Dören, zwischen Köln und Aachen, liegt ein Dorf, das führt den Namen Arnoldsweiler, und denselben Namen führt es von einem frommen Sänger, der am Hofe Kaiser Karl des Großen lebte und sein Liebling war. Da forderte einst der große Kaiser von Arnold, seinem Sänger, derselbe möge sich einen Lohn erbitten für seine vielen und schönen Lieder, und der Sänger bat, Karl wolle ihn mit einem Stück Wald begaben, so viel, als Arnold werde umreiten können in der Zeit, wo Karl sein Mahl halte. Das ward ihm gewähret; Arnold hatte aber schon von Strecke zu Strecke, so weit ein Roß im gestreckten Lauf aushalten konnte, ausgeruhte Rosse, die seiner harrten, aufgestellt und damit eine Waldstrecke vom Bürgelwald umstellt, die ein Mann kaum in eines Tages Länge umschritten hätte. Darauf begann er, als der Kaiser sein Mittagmahl begann, sein Jagen, bezeichnete und bestreute allenden, wo er vorbeisauste, durch Schwerthiebe in die Äste seinen Weg mit grünen Brüchen von Eichen- und Buchenlaub und kam schon wieder und trat vor den Kaiser, bevor dieser noch sein Mahl beendet, dieweil er noch beim Äpfelessen verweilte. Da sprach Karl: Du hast dir gewißlich ein zu kleines Stück erritten, da du so bald wiederkehrest. – Arnold aber antwortete: Mitnichten, ich umritt ein großes Stück, das ein Mann wohl kaum in Tageslänge umwandeln kann. – Da fiel auf den Sänger ein ernster Blick seines Herrn, welcher bei sich dachte, daß im Bürgelwald für Arnold die Blume der Bescheidenheit wohl nicht gewachsen sei, und der Kaiser schwieg. Da nahm aber Arnold das Wort und sprach: Du zürnest mir, mein hoher kaiserlicher Herr! Zürne nicht! Nicht für mich umritt ich deinen Bürgelwald. Sieh, alle den Dörfern von Dören bis Bredburg und von Jülich bis Bergheim gebricht es an Holz. Für sie habe ich den Wald, den du mir zu schenken angeboten, umritten. – Da freute sich Kaiser Karl über seines Sängers Biederherzigkeit und sagte ihm gern die ganze Waldstrecke zu.

Quelle: Bechstein, Ludwig: Deutsches Sagenbuch. [Leipzig: Georg Wigand, 1853]. ed. Karl Martin Schiller. Meersburg/Leipzig 1930., Nr. 118