DER BLINDE SCHÜTZE

Einmal, als auf Sooneck die Raubritter bei einem wilden Gelage beisammen saßen, stritten sie, wer von ihnen der beste Bogenschütze sei. Jeder erzählte prahlerisch seine Heldentaten und Erlebnisse. Schließlich kam die Rede auf Ritter Veith von Fürsteneck, von dem man wusste, dass er nie einen Schuss verfehlt hatte. Niemand wusste jedoch, was aus ihm geworden war.

'Das kann ich Euch sagen', rief der Hausherr, Ritter Siebold von Sooneck, 'ich habe ihn gefangen genommen, geblendet und hier ins das Verlies gesperrt,' lallte er schon stark angetrunken. 'Die Strafe hatte er sich verdient, denn er hat mir die Liebe meines Lebens weggeschnappt.'

Lass ihn doch beweisen, ob er noch so gut schießen kann wie früher' schlug ein junger Ritter vor. Es war der Sohn des Gefangenen, der sich verkleidet unter die Festgesellschaft gemischt hatte.

Daraufhin winkte Siebold seinem Diener und befahl ihm: 'Auf, bring den Gefangenen her!'

Die Gäste verstummten als der Blinde eintrat und starrten ihn voller Entsetzen an. 'Du kannst nun deinen Meisterschuss machen', grölte der Gastgeber, ohne auf die seltsame Stimmung zu achten, die plötzlich in dem Raum lag. 'Wenn du das Ziel triffst, das ich dir nenne, so sollst du frei sein!'

'Gut' antwortete der Blinde ruhig, 'gebt mir eine Armbrust und nennt mir das Ziel.' Alle Anwesenden schauten ihn gebannt und erwartungsvoll an. Er tastete die Armbrust ab und legte sorgsam den Pfeil darauf. 'Diesen silbernen Becher sollst du treffen', bestimmte Siebold von Sooneck und stellte ihn laut krachend auf eine Truhe.

Man hörte nur das leise Klicken der Armbrust, und im selben Augenblick sank Siebold getroffen zu Boden. Die Gäste schrieen laut auf, als sie sahen, dass der Pfeil ihn genau in den Mund getroffen hatte. 'Nun hat er seinen Lohn', sagte der Blinde gelassen, 'gebt mir nun den meinen.'

Da gab sich sein Sohn zu erkennen der unter falschem Namen dem Gelage beigewohnt hatte. Er umarmte den Vater und sagte bestimmend: 'Gott hat gerichtet ! Du sollst nun deine Freiheit haben. Ich bringe dich nach Hause.


Quelle: per email zugesandt von Sabine Lanius.