DIE GLÜHENDEN KOHLEN

Im Städtchen Lorch am Rhein steht an der Stadtmauer eine Mühle, die vom Wasser der Wisper getrieben wird. Einmal erwachte die Magd sehr früh. Es war ganz hell und sie meinte, sie hätte sich verschlafen. Eilig wollte sie das Feuer auf dem Herd anzünden. Da sah sie auf dem Hof einen Haufen glühender Kohlen. Um das Kohlenfeuer aber lagen einige fremde Männer. Eilig nahm sie eine Schaufel voll und brachte die Glut ins Haus. Als sie die Kohlen auf den Herd schüttete, glühten sie nicht mehr. Wieder holte sie eine Schaufel voll und wieder waren die Kohlen tot. Da rannte sie zum dritten Mal hinaus. Doch da sprach einer der Männer: "Du, höre, dies ist das letzte Mal!" Die Magd erschrak, sagte aber kein Wort und eilte ins Haus. Und wieder waren die Kohlen erloschen. Da schlug die Turmuhr nachts zwölf und auf dem Hof waren Glut und Männer verschwunden. Da gruselte der Magd und sie kroch tief unter ihre Bettdecke und am Morgen verschlief sie sich. Da trat der Müller als Erster in die Küche. Aber er traute seinen Augen kaum. Auf dem Herd lag ein Haufen glitzernder Goldstücke. Er baute sich davon ein neues Haus und auch die Magd bekam ihren Teil von dem Reichtum.


Quelle: Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Ausgabe 1930