DER MEISTERSCHUSS AUF SOONECK

Schon früher galt: wo viele Burgen sind, ist auch viel Streit. Nur nahm Streit früher selten ein gutes Ende, selbst wenn der Anlass noch so gering war. So war auch zwischen den Burgherren der Burg Sooneck und der Burg Fürstenberg wegen einer Kleinigkeit ein Streit ausgebrochen.

Siebold von Sooneck war besonders empfindlich, da Hans Veit von Fürstenberg im Gegensatz zu ihm sehr berühmt war. Voller Neid überlegte er sich, wie er es ihm zeigen könnte. Als Schütze mit der Armbrust war Veit von Fürstenberg unschlagbar, aber musste es nicht auch andere Beweise für Siebolds Tüchtigkeit geben? Er forderte den Meisterschützen zum Kampf mit blanken Waffen, da war er dem Nachbarn überlegen, da er Bärenkräfte hatte. Hans Veit von Fürstenberg schlug sich tapfer, doch schließlich versagten ihm die Kräfte. Da der Kampf auf Leben und Tod gegangen war, hatte er sich bereits aufgegeben. Doch Siebold hatte Schlimmeres mit dem Verlierer vor. Siebold ließ seine Knechte den wehrlosen Veit hinauf in den Burghof des Siegers schleppen und veranlasste, dass ihm beide Augen ausgestochen wurden.

Höhnisch brüllte er dem grässlich Geschändeten zu: 'Jetzt bist Du die längste Zeit der beste Schütze gewesen!' Dennoch wurde Veit im Kerker, tief unter dem Burgturm, bis zur Genesung gepflegt. Doch immer noch loderte in Siebold der Hass und Neid.

Mehrere Monate nach diesem Vorfall wurde auf Burg Sooneck ein ausschweifendes Fest gefeiert. Siebolds Mannen und auch die Nachbarn waren eingeladen, Speisen und Trank gab es im Überfluss, Musikanten spielten und leichtgeschürzte Tänzerinnen sorgten für Kurzweil. Die Ritter und ihre Mannen ergötzten sich an den lustvollen Dirnen. Leicht berauscht kündigte Siebold von Sooneck um Mitternacht den Höhepunkt des Abends an. Den Mann, den er wohlverwahrt für dieses Fest aufgehoben habe, Hans Veit von Fürstenberg, einst der beste Schütze rheinauf- und rheinabwärts. Zwei Knechte stießen den Blinden zum Saal hinein. In Lumpen gehüllt, mit leeren Augenhöhlen war er ein Bild des Jammers, aber immer noch nicht ohne Würde. Siebold genoss diesen Anblick sichtlich.

Mit Hohn in der Stimme sprach Siebold den Gefangenen an: 'Du Meister aller Schützen, wirst auch jetzt ein Ziel treffen, das ich Dir hier hinstelle. Dieser goldene Becher hier soll es mir wert sein. Durchbohrst Du ihn im Flug mit Deinem Bolzen, so sollst Du frei sein!'

Der Blinde lud den Bolzen und hob an zum Schuss. Siebold brüllte: 'Schieß endlich ! Was soll das lange Zielen!' Damit warf er den goldenen Becher hoch - im gleichen Moment fuhr ihm der Bolzen durch den Hals. Siebold fiel um und verblutete röchelnd. Die Gäste und Dirnen rannten vor Angst vor dem Schützen Hals über Kopf davon. Der Schütze jedoch hatte seine Armbrust gesenkt und weinte aus seinen leeren Augenhöhlen, ob aus Stolz oder über den Verlust seiner Schießkünste, wusste niemand.

Quelle: per email zugesandt von Sabine Lanius