DER NACHTSCHMIED IN GÖRLITZ

In Görlitz lebte einst ein Schmied; der war sehr fleißig und geschickt und deshalb geachtet und gesucht; nur stand er in dem Rufe, auf Kirche und Glauben nicht viel zu halten. Lange lebte er unbescholten, bis einst ein Knecht zu ihm kam, baumstark, rothaarig, einäugig und lahm, der aber durch Gehorsam, Genügsamkeit, Fleiß und Geschicklichkeit sich bei ihm einschmeichelte, so daß er ihn als seinen Gesellen annahm. Ja, er wurde ihm bald unentbehrlich, indem er alle Arbeit in unglaublich kurzer Zeit verrichtete. Da des Meisters Gegenwart in der Werkstätte überflüssig erschien, ergab er sich der Untätigkeit, dem Spiele und dem Trunke. Zuletzt brachte die Arbeit des fleißigen Knechtes kaum so viel ein, als der Meister durchbrachte.

Eines Abends kam ein Junker in schwarzer Tracht, auf schwarzem Rosse, ein schwarzes Barett mit roter Hahnenfeder auf dem Kopfe, vor die Schmiede geritten. Der bestellte ein eisernes Gitter um eine Gruft für einen sehr hohen Preis, verlangte aber, daß es unbedingt bis Mitternacht des dritten Tages fertig sein müßte. Dafür wollte er die Hälfte vorausbezahlen. Halb trunken vom Gelage, lacht der Meister zuversichtlich: „Dafür will ich wohl Leib und Seele verpfänden, daß zur Zeit alles fertig wird." Der Junker aber erwidert: „Wenn Ihr das tut, wird Euch der vierfache Preis zuteil werden." Von Habsucht geblendet, unterschreibt der Meister mit seinem Blute die Bedingung und sieht mit Erstaunen das Gold richtig bezahlt vor sich liegen. Doch der Junker ist verschwunden.

Der Leichtsinnige vergißt bald, was geschehen ist und kehrt zum Gelage zurück. Am Morgen erzählt er seinem Knechte die Sache und heißt ihn sogleich ans Werk gehen. Dieser lacht höhnisch: „Das hättet Ihr getrost an einem Vormittag zu liefern Euch verpflichten können." Völlig beruhigt geht der Meister weg und verpraßt das im voraus empfangene Geld. Erst am dritten Nachmittag fällt ihm ein, nach der Arbeit zu sehen. Er eilt in die Werkstatt; das Gitter ist bis auf einen einzigen Ring fertig, aber der Knecht ist verschwunden. Eiligst geht er selbst an den Amboß, um den fehlenden Ring zu ergänzen; aber vergeblich müht er sich. Alles Eisen, das der Hammer berührt, springt unter seinen Händen entzwei. Da merkt er, daß der Hölle Macht im Spiele ist. Entsetzen faßt ihn und treibt ihn bald von der trostlosen, hoffnungslosen Arbeit hinweg, bald mit verzweifelter Anstrengung wieder hin.

Der Knecht ist für immer verschwunden. Mitternacht erscheint. Mit dem ersten Glockenschlage öffnet sich die Erde und verschlingt den Meister, der jetzt dem Teufel verfallen ist. Seitdem ist er verdammt, so lange zu schmieden, bis der fehlende Ring am Gitter sein wird. Menschliche Macht aber kann ihn nicht erlösen; denn so oft Vorwitzige oder Fromme den fehlenden Ring am Gitter ersetzten, verschwand er von selbst m der Nacht, oder die Leute hatten keine Ruhe, bis der Ring wieder abgenommen war, wie es noch vor kurzer Zeit einem Schmiedegesellen namens Wende ergangen ist.

Darum muß der Schmied unter der Erde schmieden, und allnächtlich hören die Bewohner des Obermarktes, besonders des Hauses in der nordwestlichen Ecke, wo er gewohnt hat, sein Hämmern, bald in ruhigem, abgemessenem Takte, bald wieder in raschen, ungestümen Schlägen, wenn ihn über der Arbeit die Verzweiflung bemeistert. Zwar haben in neuerer Zeit Leute, die alles besser wissen wollen, in unterirdischen Gewässern die Ursache des dumpfen, hämmernden Geräusches finden wollen; aber man weiß, was man von solchen Sachen zu halten hat. Der Name des Schmiedes soll Volprecht gewesen sein.


Quelle: Sagen aus Schlesien, Herausgegeben von Oskar Kobel, Nr. 22