50. Rübezahl fährt auf der Kutschen.

Es hat mir einvornehmer Mann des Rats von Greifenberg durch einen glaubwürdigen Leipzischen Bürger erzählen lassen, wie einmal zweene Wandergesellen über das Gebürge [Gebirge] gereiset sein, welche in ziemlicher Armut und Bedürftigkeit begriffen gewesen, also, daß sie bald nicht gewußt haben, bei weme sie sich erholen sollten oder einen Zehrpfennig erlangen. Indeme sie also fortgehen und mit dergleichen Gedanken schwanger und traurig sein, siehe: da sehen sie für sich hin eine prächtige Kutsche fahren, wobei etliche Trabanten gewesen und Lakeien hinterher gelaufen. Aus diesem Gesichte nehmen sie ab, daß es ein reicher Herr sein müßte, der vor ihre Bedürftigkeit vielleicht etliche Pfennige in seinem Beutel übrig habe: laufen auch in solchem Sinne alsbald hinzu, heben an zu betteln und ihre Armut vorzubringen. Wie sie solches Begehren sehr demütig und beweglich angebracht hatten, da springet ein vornehmer Herr aus der Kutschen und schneidet einen jedweden mit dem Messer aus den nahe darbei stehenden Gesträuchen einen Stab oder Stock ab, überreichet solchen enzeln, sprechende: damit sollen sie vor diesmal vorlieb nehmen, sie würden schon sich hieran erholen und auf die Beine kommen. Die beiden Kerl nehmen die übergebenen Stäbe an, bedanken sich vor die lange Weile, dürfen das schlecht vermeinte Geschenk nicht ausschlagen, teils vermöge der Ansehnlichkeit des vornehmen Gebers, teils wegen der Obsicht der Trabanten. Inmittelst steiget der herrische Rübezahl wieder auf seine Kutsche und läßt geschwinde drauf fahren. Die beiden Wanderer aber zotteln auch, wiewohl langsam, hinterher; fangen allgemählich an, von ihren empfangenen Stäben zu schwatzen. Ja, einer wird auch endlich unmuts darüber und spricht zum andern:

Ei was soll mir der Stock? Solchen hätte ich mir selber allhier können abschneiden, weil kein Mangel dran ist; derselbige Herr hätte uns leicht was Besseres können verehren als nur dieses bißchen Holz. Und indem warf er seinen geringschätzigen Stab aus Ungeduld so weit weg, als er immer konnte. Der ander Mitgesell aber sagte: Ei Bruder, warumb so arg? Ich will meinen Stab behalten; wer weiß, wozu er gut ist? Aufs wenigste will ich ihn zum Gedächtnis verwahren, damit ich sagen kann, daß ich einen Wanderstock von einem vornehmen Herrn in die Hand gegeben bekommen habe. Und immittelst geraten sie vom Gebürge in die nächste Herberge. Da besähe der ander Geselle noch einmal zur Verwunderung seinen verehrten Stock und befand, daß er lauter gediegen Gold war. Wie solches der erste vernahm, wollte er ein Teil dran haben und sagt: Bruder, halb! Der ander sprach: Nein, Narre, warumb hastu deinen Stab nicht behalten? So hättestu ebensoviel gehabt als ich jetzund. Hierüber lief der abgewiesene Kauz wieder zurücke, rennte, daß ihm der Kopf gleichsam brannte, und gedachte, seinen verworfenen Stab auch wieder zu finden. Aber umsonst; da wäre Hoffnung und Mühe verloren.

Quelle: Bekannte und unbekannte Historien von Rübezahl, Johannes Praetorius, 1920, S. 48f
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