121. Rübezahl schwängert eine Obristin.

Im abgewichenen dreißigjährigen deutschen Kriege soll es geschehen sein, daß eine Obristin in einer Kutsche über das Riesengebürge [Riesengebirge] gefahren, samt andem Mitgefährten. Es soll ihr aber unterwegens not getan haben, allein von der Kutsche herunterzusteigen und hinter einem benachbarten Busche, salva Venia zu melden, ihren Behuf zu tun, mittlerweile denn die Kutsche immer allgemählich ein wenig fürder gefahren ist. Was geschicht? Wie jene Frau vermeinet, allein zu sein, da war ihr plötzlich ein stattlicher Kavalier übern Hals gekommen, hätte sie freundlich angeredet und genötiget, mit zu spazieren in seinen Palast: drauf die Frau sich stets entschuldiget und ihre Reise vorgewandt gehabt, daß sie nämlich ihre Leute nicht möchte verlassen, die Zeit versäumen oder sie in Bekümmernis stecken. Aber wie dem allem? Es hatte die Frau sich mögen entschuldigen, so viel sie vermocht, so hatte doch der Rübezahlische Kavalier sein komplimentösisches Anhalten und Ersuchen nicht aufgeben wollen, sondern sie endlich schier gezwungen, mitzuwandern. Drauf ihr die verlassene Kutsche aus dem Gesichte geraten, darzu denn auch ihr Schreien und Rufen nichts geholfen und sie also nicht überhin gekunnt, sich loszumachen, sondern hatte notwendig in des erschienenen Kavaliers Beliebung einwilligen müssen. War derentwegen mit ihm gegangen und hatte, nach einem kurzen Wege, ein herrliches Schloß angetroffen, das so prächtig und künstlich war gebauet gewesen, daß sie ihr Lebtage kein bessers gesehen. Es hatte sie gedeucht, wie allenthalben lauter Edelgesteine versetzt wären. In dem herrlichen Gemache, da sie war introduziert worden, da war es alles magnifik erschienen. Es waren die raresten Traktamenten auf der Tafel gestanden; so hätte es auch an Pagen und Dienern nicht gefehlet, die sie aufs schönste akkommodieret hatten. Weiter waren auch flugs zugegen gewesen die lieblichste Musiken von den ergetzlichsten Instrumenten, und was sonsten zu fürstlichen Panqueten möchte gewünscht werden. In diesem präsentierten Gemach hatte sich die Obristin müssen niederlassen, und zwar bei der angerichteten Tafel an die vornehmste Stelle, darzu sich denn in Eil ander köstliche Herren gesellet, sie charisieret und mit den anmutigsten Gesprächen, nebensi den schmackhaftigsien Speisen, ersetzet, bis drüber der Abend und folgends die Nacht eingebrochen, da der erste Plagiarius oder räuberische Rübezahl in vorig-angenommener Kavaliersgestalt zu ihr getreten, sie genötiget, zu Bette zu gehen und die Nacht über in seinem Schlosse zu ruhen. Was hatte die gute Obristin draus wollen machen? Wie sie vorher über Macht und Willen gegessen, also hatte sie itzund auch sich müssen in die Schlafkammer führen lassen, da sie die prächtigsten Betten und ein aus der Maßen fast königliches Nachtlager angetroffen, in welches sie sich geleget, und die ganze Nacht über wunderliche Grillen gemacht hat, weil sie aus großer Bestürzung nicht gewußt, wie ihr geschehen, wo sie wäre und wo ihre Leute logiereten. Hierauf war zur Mitternacht der kavalierische Rübezahl für ihr Bette gekommen, hatte seine Dienste präsentieret und sie teils bittlich, teils zwingend dahin bemächtiget, daß sie in seinen ehebrecherischen Willen sich hatte müssen ergeben: es soll ihr aber dabei alles sehr kalt vorgekommen sein, wie sie selber es nicht in Bedenken genommen hat, hernach über einer Tafel solches zu erzählen, bei Anwesenheit vieler hoher Offizierer. Wie endlich die Nacht schier vergangen, und es in die Morgendämmerung geraten, da soll der Kavalier abermal zu ihr gekommen sein, sie genötigt haben, aufzustehen, sich anzuziehen und nach ihren Leuten sich verschaffen zu lassen. Hierauf war sie in eine kostbare Kutsche gesetzt worden, und hatte sich der ausgemundierte Rübezahl zu ihr gesetzt, und hatten nebenher viel Trabanten gehabt, und waren also in weniger Frist durch dergleichen Kutschei, an einen Ort gekommen, da der Rübezahl hatte lassen stille halten, sie aufs schönste heißen austreten, welches denn, wie es geschehen, sie flugs zu ihren Leuten versetzt hatte, indem ihre Kutsche hart dabeigestanden; die vorige aber war in einem Hui mit allem Plunder verschwunden. Drauf sie zu den Ihrigen gegangen, ihre Verführung referieret und sich trefflich hungrig befunden hatte, also, daß die Leute in selbigen Losament ihr bald was zu essen hatten müssen anrichten; nach welchem Losament sich solche verlorne Kutsche hingemacht gehabt, wie die Obristin verloren gewesen, und die Bedieneten sie noch immer hin und wieder auf dem Gebürge [Gebirge] gesucht hatten.

Quelle: Bekannte und unbekannte Historien von Rübezahl, Johannes Praetorius, 1920, S. 112ff
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