64. Rübezahl macht dauer- und sauerhaftige Schuhe.

Es soll für ungefähr dreißig Jahren ein bedürfter Handwerksgeselle über das Gebürge [Gebirge] gereiset sein, der vom Riesenkönige (denn also will der Rübezahl von etlichen titulieret sein) ein paar Schuhe zur Verehrung haben bekommen, die ihm der mildreiche Geist mit dieser Bedingung geschenket, daß er sie zwar tragen sollte, doch hernach nicht wegwerfen, wenn sie würden alt geworden sein; er möchte sie auch wohl so lange tragen, bis er alles weg gegangen und auf die Brandsohlen gekommen wäre. Dieses nimmt der begabte Kerl in acht und gebraucht sich der geschenkten Schuhe etliche Jahr, bis daß er sie gar überdrüssig zu tragen wird; sintemal sie ihme teils zu klein geworden, teils auch zu ungestalt vorgekommen, weil man umb selbe Zeit eine andere Modi gehabt, die weit anders ausgesehen als die seine. Aus diesen Ursachen war er veranlasset worden, die Schuhe zu zerschneiden: da hat er zwischen dem Leder unter die Hacken so viel Dukaten gefunden, als er sie Jahre getragen. Drüber er traurig geworden und sein albers Vornehmen betrauret, daß er die Schuhe nicht länger behalten und mehr Jahr getragen habe: weil er hier auf einen großen Schatz dermaleins hätte erlangen mögen, der ihm aber nunmehr ausgeblieben wäre, weil er aus Hoffart seine altväterische und Rübezahlische Schuhe zerschnitten, ehe er sie noch auf die Brandsohlen gebracht. Das heißet:

Schu non mutabls, donec plurale videbis
Das ist:
Du sollt die Schuh so lang mit Baste binden,
Bis du ein neues Paar wirst wiederfinden.

 

Quelle: Bekannte und unbekannte Historien von Rübezahl, Johannes Praetorius, 1920, S. 60
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