66. Rübezahl verehret einem Studenten einen Stab.

Vor etwan achtzehn Jahren sollen ein paar arme Studenten über das Gebürge [Gebirge] ihre Reise verrichtet haben und endlich im Gehen zu einem fließenden Wasserbach geraten sein, darüber es ihnen unmüglich gedauchte zu kommen, weil er ziemlich breit und fast tief geschienen. Indeme sie sich nun also bekümmern und in die Köpfe kratzen, da geriet der Rübezahl zu sie in eines Wanderers Gestalt und verehret ihnen einen hübschen Stock, sprechende, daß sie mit solchem ohne Mühe über alle Wasser könnten kommen. Diesen Stecken und Stab nehmen sie an und tun gleich einen Versuch: siehe, da kommen sie ohn alle Gefahr in geschwinder Eil über das Wasser, nachdem sie nur den Stab hineingesetzt. Hierüber werden sie froh und halten das Holzgeschenke sehr hoch, geraten aber drüber endlich in eine Herberge; da sie solchen Tröster hinter der Tür zur Verwahrung stellen und den andern Tag, wie sie abscheiden, aus Unbedachtsamkeit vergessen. Wie sie nun den folgenden Morgen fürder ziehen, da geraten sie abermal an einen Sumpf, welchen Rübezahl ihnen zum Possen gemachet hatte; aber da war Not vorhanden, wie sie allhier hinüberkommen möchten. Sie versuchen's, wie sie wollen, und praktizieren's auf allerhand Art, so kömmt es ihnen je länger je unmüglich vor, also daß sie notwendig bei eine Meile Wegs wiederumb zurücke müssen laufen und den vergessenen Stock holen. Wie sie den erlanget und drauf zum Wasser gekommen, sind sie ohn allen Schaden mit schlechter Bemühung hinüberkommen, und haben drauf den Stab je länger je lieber gehabt. Bis sie von neuen in ein ander Wirtshaus einkehren und den folgenden Tag für solchen Stock ein gülden spanisch Rohr ertappen. Drüber sie noch mehr lustig werden, das Kleinod teilen und sich mit dem Wert eine lange Zeit durch ihre vorgenommene Reise behelfen, glücklich fortkommen und ihre Wallfahrt verrichten.

Quelle: Bekannte und unbekannte Historien von Rübezahl, Johannes Praetorius, 1920, S. 61f
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