120. Rübezahl verstellet sich in eine adeliche Dame und Bauernkerl.

Es soll, nicht vor langer Zeit, geschehen sein, daß ein vornehmer Junker über das Riesengebürge geritten und nunmehr seinen Weg fast verrichtet gehabt und bis auf einen wenigen Rest schier über das Gebürgt hinübergewesen, da er endlich, weil es sich zum Abend angelassen, in eine Schenke oder Wirtshaus, so von bannen eine Viertelmeile entfernet gewesen, einzukehren gesonnen gewesen. Aber was geschicht? Wie er auf die bevorstehende Herberge gedenket und seines Weges immer fortreitet, da siehet er nicht gar weit vor sich hingehen eine adeliche schönbekleidete Dame, welche an der linken Seiten einen Bauersmann bei sich gehabt. Auf solches Paar verstellete Leute (denn Rübezahl ist drunter verdecket gewesen) siehet der gedachte Junker ohn Unterlaß, wendet die Augen, teils wegen der vermeinten Schönheit, teils wegen das bedünkende ungleich spazierende Paar, nicht davon und reitet ihnen immer nach, immittelst hoffende, sie und er sein auf einem und zwar dem rechten Wege und werden bald in eine Herberge zusammen kommen. Wie solche Einbildung ein ziemliches gewähret hatte und der Abend je mehr und mehr herangetreten war, und dieser Edelmann dennoch das Paar Volkes nicht hatte abreiten können, wie geschwinde er sich gezauet: siehe, da geschiehet es, daß die Adeljungfer mit dem Bauerskerl gleichsam hinter ein Gebüsche kommet und allda verschwindet. Indem aber schaut der forttrabende Edelmann für sich nieder und wird gewahr, daß er nunmehr auf eine hohe Klippe verführet gewesen; davon er gleich für sich hinunter fast bis auf den Abgrund gesehen, auch so tief, als solcher gewesen ist, hinuntergesiürzet wäre, so fern er nur noch ein wenig fortgeritten sollte sein. Nach dieser Begebnüsse ist er erstlich fast inne geworden, daß er betrogen gewesen und aus betöreter Unvorsichtigkeit von dem Rübezahl in Abwege verleitet worden. Da er dann mit großer Not und andere besorgte Gefahr zu tun gehabt, daß er endlich wiederumb auf den rechten Weg geraten und nach langer Zeit erstlich in die gewünschte Herberge gekommen ist.

Quelle: Bekannte und unbekannte Historien von Rübezahl, Johannes Praetorius, 1920, S. 111f
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